Georg Stefan Troller - Film als Liebeserklärung

English Version

Im Gespräch mit dem einhundertdreijährigen Filmemacher, Schriftsteller und Poeten an einem heißen Apriltag in Paris, untersuche ich die Intentionen meines Filmemachens im Abgleich über drei Generationen mit denen des Alt- und Sprengmeisters des Dokumentarfilms Georg Stefan Troller.

Georg Stefan Troller mit Adrian Schwartz im Gespräch, Illustration von Adrian Sauter

Adrian Schwartz

Herr Troller, wie haben Sie damals immer Ihre Interviews begonnen, wenn Sie vor Ihren Gästen standen oder saßen?

Georg Stefan Troller

Schwierig zu beantworten. Ich habe eher über Jahre hinweg die Filme so gebaut, dass 9/10 des Films in Bildern erzählt wurde. Und wir endeten die Filme mit einem langen Interview, das sozusagen erklärte, was die Bilder angedeutet haben. Das empfand ich nachher als kitschig und habe umgebaut auf das im Film selber zwei, drei Kurzinterviews aufkreuzen Deswegen kann ich die Frage schwer beantworten, weil diese Kurzinterviews sich natürlich auf das bezogen, was man gerade gedreht hatte. Aber im Großen und Ganzen kann man sagen Das gute Interview beginnt mit allgemeinen Fragen, die den Partner in Sicherheit wiegen. Dass er da nicht bedroht ist und steigert sich zu immer intimeren Fragen, die immer unangenehmeren. Um dann damit aufzuhören, dass der Betroffene sagt: “Jetzt reicht's mir aber”. Oder wie Alain Delon: “Ich bin ja schließlich hier, nicht beim Psychiater.”

Adrian Schwartz

Und was denken Sie? Was denken Sie jetzt, wo Sie uns beide Jungspunde so vor sich sitzen haben? Was glauben Sie, warum wir hier sind? Heute?

Georg Stefan Troller

Na ja. Ihre Versuchung ist natürlich groß, mich fertig zu machen und zu zeigen, wie blöd ich bin und wie überholt das alles ist. Andererseits haben Sie ein gewisses Gefühl dafür, dass auch Sie nicht ewig jung bleiben. Und dass das, was der Alte da sagt, vielleicht einmal von Wert sein können wird.

Adrian Schwartz

Also mir geht es nicht darum, Sie fertig zu machen. Im Gegenteil. Ich bin da, weil ich sehr, sehr viel über ihre Filme und durch ihre Filme gelernt habe und ich mich sehr stark in der Art und Weise, wie sie Film machen, selbst wiedererkannt habe. Sie waren mir ein Wegbegleiter und Wegbereiter, könnte man sagen. Ihre Filme und Sie. Und dementsprechend wollte ich einfach einmal genau das machen, was Sie immer gesagt haben, was Sie tun, wenn Sie Filme machen. Nämlich mich durch Sie selbst ergründen. So egozentrisch diese dieses Ansinnen vielleicht auch klingen mag, dachte ich, wenn ich bei Ihnen bin, kann ich noch viel mehr über mich selbst erfahren wie ich sowieso vielleicht schon wusste. Und, ähm. Von dem her ist es mir eine große Freude, hier zu sein.

Georg Stefan Troller

Jetzt muss ich natürlich die Gegenfrage stellen: Warum machen Sie Filme?

Adrian Schwartz

Ja, das ist eine gute Frage. Die habe ich mir auch beantworten können, indem ich gelesen habe, was Sie dazu gesagt haben. Aus Ihrer. So wie ich es verstanden habe, war Ihr Ansinnen ja immer einen Platz zu finden, dass Emigrantendasein, die Ausgestoßenheit, äh, durch die Nationalsozialisten, durch den Nationalsozialismus hat sie ja in diese ständige, in diesen ständigen Exilantenstatus gebracht. So hab ich das verstanden. Und auch wenn ich kein Emigrant bin, weil ich bin Deutscher und habe das jetzt nicht erlebt, ähm, so konnte ich mich doch zu dieser Verlorenheit in der Welt, den Verlorensein in der Welt und dem Nichtaufgehobensein sehr gut in Beziehung setzen. Darin konnte ich mich sehr gut wiedererkennen. Und das hat in mir einen ähnlichen Schmerz. In mir gibt es einen ähnlichen Schmerz wie den, den Sie beschreiben. Ähm, denke ich mal. Auch wenn ich kein Emigrant bin, Das möchte ich ganz klar unterscheiden. Das ergibt ein anderes Schicksal.

Georg Stefan Troller

Aber okay, das ist eine Grundlage. Na ja.

Adrian Schwartz

Aber es ist eine wichtige Frage, sie macht natürlich viel auf. Also diese Frage nach der Berechtigung. Wie haben Sie denn Ihre filmische Arbeit für sich berechtigt oder gerechtfertigt?

Georg Stefan Troller

Es ist nicht einfach, sich in diese 30, 50 Jahre, in diese Jugendmanie zurück zu versetzen. Ich begann ja als Rundfunkkorrespondent. Indem man die Welt, die Umwelt und die Menschen der Umwelt in Bild verwandelt, entschärft man ihre Gefährdung. für dich. Sie sind in deiner Hand, während du früher in der Hand der anderen warst. Diese Verlorenheit auszugleichen, weil das Bild bestimmt, hat mir sehr geholfen. Natürlich auch mithilfe von Kameramann und Cutterin. Sehr wichtig. Aber im Großen und Ganzen geht es darum, das Bedrohliche der Welt in Bild umzusetzen. Ich habe sehr viel fotografiert seinerzeit. Hab in Dachau fotografiert usw. Und merkte, dass ich dadurch die Verunsicherung, die mich umgab, entschärfen konnte. Bild war mein Eigentum. Die Sache oder die Menschen, die man abfotografierte, abfilmte, gehörten nicht dir. Aber je mehr du an Routine weiter gewonnen hast umso mehr wurden auch die Menschen, mit denen du gelernt hast, gearbeitet hast, deine. Gehörten dir, weil du sie gefilmt hast, ja. Kommt Meine Lieblingsgeschichte über den Maler, norwegischen Maler, Munch, der als junger Mann in psychiatrischer Behandlung war und der Doktor Jacobsen Jahre später, trifft - er hat den Psychiater aus der Erinnerung gemalt, in einem sehr grünen Bild. Grün, die Farbe der Gefährdung, nicht die Farbe der Natur. Er traf Doktor Jacobsen Jahre später auf der Straße und sagte Herr Doktor, was denn mit Ihnen los? Sie waren doch vorher grün. Das erscheint mir, das scheint mir ungefähr unserer psychischen Einstellung zu unseren Partnern, wie man heute sagt, Opfer sagten wir, zu entsprechen. Dass sie dir gehören, wenn du sie gut genug und gründlich genug abgefilmt hast. Und dieses “Dir-gehören” bedeutet dann, dass sie keine Gefährdung mehr für dich darstellen.

Adrian Schwartz

Und doch sind sie ja noch weiter gegangen. Sie haben sich ja nicht nur auf das Bild verlassen, Das zwar auch, aber sie haben sich ja auch auf das Wort verlassen, denn ihre Filme sind ja frühe frühe Zeugschaften von Dokumentarfilm mit Kommentar. Und dabei haben sie sich ja auch erlaubt, über die anderen zu urteilen. Warum haben Sie Ihr Kommentar gebraucht?

Georg Stefan Troller

Um überhaupt mit dem Leben fertig zu werden. Das hat mich ja nur über so viele Jahre und Jahrzehnte als Schreckgespenst umgeben. Ja? Alles was passierte bis ich 30 war oder so, war ja bedrohlich. Die Nazis, der Krieg und so weiter. Alles war lebensbedrohlich. Schon dass man über jemanden einen Satz sprechen konnte, bedeutete ja, dass man ihn. Dass man die Bedrohung, die von jemandem ausging, entschärft hat. Ja, du hast ja ihn beurteilt. Warst nicht länger darauf angewiesen, dass die Leute, dich beurteilen. Das ist eine Lebensgrundlage. Damit kann man zurechtkommen.

Adrian Schwartz

Man kann also sagen, dass sie sich auch durch das Kommentar oder durch das Kommentieren im Film sind Sie Ihrem eigenen Leben Herr geworden?

Georg Stefan Troller

Na ja. Das ist ja Journalistenart überhaupt. Indem man andere beurteilt, setzt man sich über sie hinweg. Man ist ja irgendwie, manhat sie gemeistert? Ja. Und wenn man das in einer Verbindung von Bild und Wort und kommt ja noch anderes dazu. Schnitt, Musik, Geräusch usw. Also was einen guten Film ausmacht. Das alles verbindet sich zu einer Darstellung der anderen Person, die meine Auffassung dieser Person widerspiegelt. Mehr als wie diese Person sich selber sieht. Gefährlich für dich, für die anderen. Waghalsig, aber ein Überlebensmodus. Ja, so kann man... Aus seiner Kindheit und kindlichen Ängsten wegkommen. Ich glaube, meine Kindheit hat etwa bis zu meinem 30. Jahr gedauert. Ja, und ich war immer verloren. Irgendwie. Und dann kamen die Medien, wodurch nicht mehr Kind sondern Medienvertreter. Wurdest als solcher respektiert. Umso mehr, als nachher die Kamera auftauchte und das Team und womit du ja die Personen, mit denen du konfrontiert warst, überwältigt hast. Ja.

Adrian Schwartz

So wie wir sie heute.

Georg Stefan Troller

Na ja, zwei Leute und ein Apparat, das ist schon-

Adrian Schwartz

Das ist eine Ansage.

Georg Stefan Troller

Ja, ja.

Adrian Schwartz

Und trotzdem finde ich als Rezipient Ihrer Filme, dass in dem Kommentar auch ganz viel einerseits von Ihnen selbst, aber andererseits auch von Ihrer Verletzlichkeit drinsteckt. Sie haben einen analytischen, Sie haben eine analytische Seite in dem Kommentar, aber auch eine sehr selbstbezogene, emotionale Seite und kann es vielleicht sein, dass es auch deswegen so gute Filme sind, weil sie die eigene Verletzlichkeit mit erzählt haben? Durch die Kommentare...

Georg Stefan Troller

Ja. Ich habe ja, wenn man so will, als Lyriker begonnen. Ja, als junger Dichter. Junge Dichter muss sich natürlich so beschreiben wir, wie er sich sieht. Also er muss sich analysieren. Er muss sich fragen: Was bin ich und warum bin ich so? Und so weiter. Und diese Einstellung zu mir selber als Erforscher auch meiner Schwächen und meiner Idiotien ist natürlich in diese Texte eingeflossen. Ja, eine gewisse Ehrlichkeit. Nicht nur den anderen gegenüber, sondern auch dir selbst gegenüber. Schien mir interessanter als die Aufplusterei von so vielen Fernsehgrößen.

Adrian Schwartz

Definitiv ja. Das ist überhaupt das bestechende, dieses Erleben Ihrer Gäste durch sie. Und durch auch diese poetische Zusammenführung von Wort und Bild. Das ist schon eine herausragende Leistung, und ich glaube, die hat auch nach wie vor ihren Wert. Ich persönlich bin auch sehr angetan vom Kommentar im Dokumentarfilm und habe dann nach und nach ihre Filme entdeckt, weil dort das Kommentar natürlich herausstechend ist. Und dann habe ich gemerkt: Ah, da gibt es einen Bruder im Geiste, wie man so schön sagt, ähm, an dem ich mich hochziehen kann, an dem ich mich halten kann und also es hat mir schon einfach sehr viel bedeutet. Ihre Filme und bedeutet es mir immer noch natürlich. Und deswegen: Vielen Dank einfach, dass wir dieses Gespräch führen können.

Georg Stefan Troller

Finde ich sehr schön. Umso mehr, als es ja sehr lange in Deutschland über zwei Jahrzehnte oder so die sogenannte Stuttgarter Schule gehabt. Kommentar verpönt. Wieso wagen Sie es, wie oft wurde ich das gefragt, wieso wagen Sie es, Ihr Wort da hinein zu mantschen, wo doch der Dokumentarfilm nur aus purer Beobachtung bestehen soll. Damit musste mich rumschlagen. Habe dann auch ein paar Dokumentarfilme gemacht ohne Kommentar, nur um zu zeigen, dass ich das auch kann. Aber ich empfand diese Fusion von Bild, Bewegung, Musik, Wort usw. als Gewinn für den Dokumentarfilm.. Er macht ihn natürlich subjektiver. Denn aus irgend einem Grund wirkten alle meine Äußerungen subjektiv, also als wären sie nur mir persönlich zuzuschreiben und nicht irgend einer allgemeinen Weltanschauung. Aber...

Na ja, es geht auch darum wird man nicht nur die Personen, sondern auch den Film zu seinem Eigentum machen will. Der Film soll ja, wie jedes Kunstwerk, dir entsprechen. Nicht nur deine Ansichten, sondern dein Seelisches wiedergeben. Und darauf bin ich dann zugesteuert, als ich merkte, dass das geklappt hat, dass das akzeptiert wurde. Ja nicht von allen Kollegen usw, aber doch im breiten Publikum, da habe ich also auf diese Art weiter gemacht. Umso mehr, als es mich befriedigte, das richtige Wort über genau das richtige Bild zu setzen. Darüber habe ich ja viel nachgedacht. Beim Schreiben und beim Sprechen ja? Was darf man wann wo sagen und was nicht?

Adrian Schwartz

Und wo war Ihre moralische Grenze in dieser, in diesem Kommentar? Was? Was haben Sie vermieden zu tun?

Georg Stefan Troller

Man muss vermeiden, seinen Gesprächspartner in Unsicherheit über sich selbst zu bringen. Also Jeder Mensch lebt von der Überzeugung seiner selbst. Ich muss so sein. Du musst so sein. "So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, So sagten schon Sibyllen, so Propheten" - Faust. Den Leuten diese Selbstüberzeugung zu nehmen, was ja dem Journalisten möglich ist. Er kann, wenn er schlau genug ist, seinen Gegenpartner so verunsichern, dass er in Tränen ausbricht und sagt: Ich habe mein Leben versaut oder so etwas. Ja. Dazu gehören die Beziehungen seines Partners zu Eltern, zu Kindern, also das Intimleben dieser Menschen. Da muss man sehr aufpassen. Da darf man nicht einfach hineintapsen.

Adrian Schwartz

Aber doch gibt es ja eine ganz feine Linie, nämlich an zwischen dieser Grund Verunsicherung den Mann, die man einem Menschen antun kann und einer Kritik, weil sie setzen sich ja auch mit in ihren Filmen mit Menschen auseinander, die ihnen nicht sympathisch waren. Die, die auch pedantisch oder ja vielleicht fast schon faschistoid auftraten manchmal. Und gegen diese Menschen haben sie sich ja mit ihren Filmen und Ihrem Kommentar auch zu Wehr gesetzt in ihren Filmen.

Georg Stefan Troller

Immer innerhalb bestimmter Grenzen. Nie so, dass ich versucht habe, die Selbsteinschätzung dieser Personen zu zerstören. Das darf man nicht und das kann man. Sie sind in der Übermacht. Zwei, drei Leute Kamera, Publikum. Sie können einen absolut fertig machen, wenn Sie wollen. Und dann? Dann gehst du weg, gilt der Hotel zurück und hinterlässt einen Menschen, den du kaputt gemacht hast. Der. Wenn er denn überhaupt auf solchen Beschuss reagiert und nicht. Und sich nicht selbstsicher genug fühlt oder überheblich, überlegen oder so weiter, um zu sagen: Der kann mich doch aber. Wenn du das richtig gemacht hast, so kannst du fast jeden Menschen verunsichern. Manche nehmen dir das übel.

Adrian Schwartz

Ich finde bei einem ihrer Filme, wo das herausragend dargestellt wird, dieser dieser Tanz zwischen Unsicherheit und Zuneigung ist der Film mit Liv Ullmann und ich habe das Gefühl, dass sie da zeigen, wie man sich einem Menschen, der sich eigentlich gar nicht öffnen will, nahe kommen kann. Stimmt das? Wie war das in Ihrer Erfahrung?

Georg Stefan Troller

Na, ich bin froh, dass Sie das sagen, weil ich natürlich den Film mit Liv Ullmann für einen meiner Schwächsten halte und nicht das Gefühl habe, ihr wirklich nahegekommen zu sein. Aber es war lustig. Sie hat ja Humor. Und es war lustig weil sie sich ja wunderbar zur Wehr setzen konnte und genau wusste, wie man das tut und so. Aber: Anekdote. Wir wollten natürlich, dass sie mit Ingmar Bergman telefoniert. Nicht persönlich, das macht er ja nicht. Aber telefoniert und mit ihm redet , ohne ihm zu sagen, dass sie in diesem Moment gedreht wird. Ja, sie rief ihn an, sagte: Hallo, Ingmar, Ich sitze hier und werde vom deutschen Fernsehen gedreht (lacht).

Adrian Schwartz

Da war die Chance dahin. Vielleicht noch mal eine Frage zu Ihrer Arbeitsweise. Ich würde gerne von Ihnen erfahren, wie sind Sie zwischen den Interviews oder zwischen den Einstellungen mit Ihrem Protagonisten umgegangen? Man hat ja als Dokumentarfilmer immer die Befürchtung, man verpasst den richtigen Moment auf Kamera. Und wie haben Sie das dann gemacht? Haben Sie sich zurückgezogen? Vielleicht können Sie ja darüber ein bisschen erzählen.

Georg Stefan Troller

Na ja, wir haben die ganze Zeit gedreht. Also zwischen Kassettenwechsel, Filmwechsel und so weiter sind ja immer Pausen und die Pausen musst du füllen. Vor allem, wenn sie innerhalb eines Interviews stattfinden. Du musst also die Stimmung bewahren, die du eingeleitet hast. Und das lässt sich auch meistens bewerkstelligen. Aber es gibt natürlich. Furchtbare Momente, blamable Momente. Es gab mal einen Indianeraufstand in Amerika, wo wir mit dem Leiter dieser ganzen Sache gefilmt haben und nun hatte ich in der Zeitung gelesen, dass der Mann schon einen Mord begangen hat, ja. Und nachdem er die ganze Zeit sich ganz aufgeplustert, hat mit: Alle Feinde müssen abgemurkst werden und so weiter, musste ich ihn ja fragen, haben Sie schon jemand persönlich abgemurkst? In dem Moment krieg ich einen Fußtritt vom Kameramann. Film läuft aus. Was machst du jetzt? Stellst du deine Frage und die Antwort ist dann nicht mehr drauf? So eine Frage kann man nie zweimal stellen. Ja. Also das Ganze zudecken, während ich merkte, dass die eilig Film einlegt en und so weiter, der Kameraasisstent und Kameramann. Na ja, über Mord im Allgemeinen und im Besonderen gesprochen, ohne ihn persönlich damit einzubeziehen. Schon die Sache hat ins Allgemeine gezogen, bis die drei Minuten um waren. Film war eingelegt, Kamera aufgebaut und ja, da bleibt uns nur noch die Frage: Haben Sie denn einmal selber ja. Und das ging weiter, weil ich die Lücke überbrückt habe, um in der Stimmung zu bleiben. Ja, aber das ist wichtig, dass man die Stimmung, in der das Interview begonnen hat, beibehalten kann. Auch wenn du sie unterbrechen musst. Die Interviews waren ja normalerweise sehr lang und wurden dann irrsinnig zusammengeschnitten. Ich glaube, das längste Interview in einem meiner Filme war vielleicht fünf oder sechs Minuten, ja? Aber gedreht haben wir stundenlang und da musst du halt, um in der Stimmung zu bleiben, die Sache in ins Allgemeine ziehen. Die persönlichen Dinge jetzt einen Moment lang ausschalten und dann kannst du wieder angreifen. Ja, das ist alles. Routineangelegenheiten, die man lernen muss. Und das ist auch okay. Aber schwierig wird es, wenn du jemand in einen emotionalen Zustand versetzt hats, der sehr weint oder so. Wie behältst du das bei? Wahnsinnig schwer, Aber. Aber du schaffst es unter anderem durch Sympathie für den Menschen, mit dem du drehst.

Na ja, geht ja immer darum, ein Freundschaftsverhältnis herzustellen. Dass diese Person nach einiger Zeit dir vertraut und. Dich nicht für einen Außenseiter hält, der angreift, sondern für einen Insider, der seine Psychologie zu erforschen sucht. oder sowas ja?. Und solang du diese Stimmung beibehalten kannst, ist das Interview gerettet. Kannst du es nicht, hast du, während du umlegst oder umbaust und so weiter, die Stimmung gestört. Dann kommt sie meistens nicht wieder.

Adrian Schwartz

Also da muss man sehr sensibel vorgehen in diesen Bruchmomenten.

Georg Stefan Troller

Na ja, ich habe einen Kollegen. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Hans Dieter Grabe. Wir teilten uns denselben Kameramann und dieselbe Cutterin. Das war sehr schön. Wir sind auch befreundet und er hat genau das Gegenteil von mir gemacht. Er hat die Leute reden lassen und reden lassen und absaufen lassen bis da hinaus und irgendwann kamen sie dann wieder zurück auf das Thema. Das konnte ich nicht, dazu bin ich zu ungeduldig.

Adrian Schwartz

Haben Sie auch interveniert? Haben Sie unterbrochen im Interview oder wie muss man sich das vorstellen?

Georg Stefan Troller

Ja. Schon interessant. Na ja, jeder macht es auf seine Art, ja.

Adrian Schwartz

Sie haben einmal über Ihren eigenen Film mit Peter Handke haben Sie einmal gesagt, dass das kein guter Film sei, wo er sich nicht öffnet. Wenn so was passiert, wenn man merkt, man dringt nicht zu seinen Interviewgästen durch, was macht man dann?

Georg Stefan Troller

Man verzweifelt. Man erschießt sich (lacht).

Adrian Schwartz

Aber kann man dann trotzdem noch einen guten Film machen?

Georg Stefan Troller

Nein, aber einen mittelmäßigen, So dass das Publikum vielleicht gar nicht merkt, dass der Film so schwach ist. Aber man selber weiß Bescheid. Wir haben ja zwei Filme mit Handke gedreht. Die einzige Person, mit der wir zweimal gedreht haben!Ja, das ist nicht das ist nicht sein Bier. Handke muss oben auf sein. Er kann nicht Opfer oder Gegenstand oder so sein. Er muss der Mann sein, der den Ton angibt.

Adrian Schwartz

Aber dabei haben Sie ihn ja bewundert.

Georg Stefan Troller

Ja, ja, unbedingt.

Adrian Schwartz

Und haben Sie das ihn auch spüren lassen?

Georg Stefan Troller

War ihm wurscht.

Adrian Schwartz

Na ja, dann wird es schwierig. Das verstehe ich. Ja, das wird. Das wird schwierig. Würden Sie allgemein sagen, dass Sie Ihren Interviewgästen viel abverlangt haben?

Georg Stefan Troller

Ja. Aber wenn es gut lief, habe ich während der Sache, während dem Dreh heraus gespürt, dass die Leute wirklich diese intimen fragen wollten und gehofft hatten, dass sie kommen und nachher zufrieden waren, dass sie kamen, obwohl sie von Anfang an alles abgelehnt, diesbezüglich abgelehnt hatten. Also man spürt dann heraus, dass die Leute sehr zufrieden sind. Dass endlich, endlich jemand kommt, der sie zu verstehen sucht. Oder vermag, ja?

Das ist der gute Moment, der bei guten Filmen mitten im Dreh passiert. Dass du... Foxy bitte geh runter. Hopp (Anm. des Autors: zu seiner Katze Foxy gewandt). Dass du meinst du bist bloß lästig und auf einmal steigt dir auf, das all diese Personen letztlich sehr zufrieden sind, in dieser Richtung belästigt zu werden. Bei manchen Filmen passiert das und dann hat man ein sehr gutes Gefühl.

Adrian Schwartz

Ja, dann fühlt man sich ja selber widerwärtig als der Eindringling, der man ist.

Georg Stefan Troller

So ist es. Weil ich bin ja eigentlich von Natur aus ein schüchterner Mensch und so aggressive Fragen zu stellen, ist eigentlich nicht mein Bier, äh, ich muss mich dazu zwingen. Und ich verstehe sehr gut, wenn Leute das innerlich ablehnen oder nicht einverstanden sind. Also weil ich selber auch so reagieren würde. Also ich bin mal besonders nett. Wie heute.

Adrian Schwartz

Dann vielen Dank. Wie haben Sie das denn geschafft, diese Scham oder diesen Zwang zu erzeugen? Also Sie haben ja gesagt, Sie müssen es mussten sich selbst dazu zwingen auf die Menschen zuzugehen, in Ihnen zu bohren. Wie schafft man das? Weil mir fällt das auch schwer.

Georg Stefan Troller

Na ja, das ist eine Mischung aus persönlicher Neugier, persönliche Sympathie und Professionalität, ja. Zehn Jahre lang Rundfunkinterviews gemacht, mehrere 100 bestimmt, vielleicht 1000.

Auf Leute zugehen, mit dem Mikrofon in der Hand. Erzählen Sie mir jetzt Ihr Leben.vWahnsinnig schwer, ja, aber man lernt es halt. Man lernt es und man findet auch heraus, auf welche Art man Leute Zugeständnissen verführen kann. Ja. Und nachher wird es dann eine Selbstverständlichkeit, dass man das einbringt Aber das musste, und vor allem von einem Menschen wie mir, musste wirklich gelernt werden. Ich bin normalerweise nicht der Typ, der mit allen kann, oder der gerne sich sich gehen lassen kann oder so. Gestern, vorgestern hatte ich den Wolf Biermann hier sitzen, ja. Der kann das.

Adrian Schwartz

Das glaube ich. Sie haben über die Filme als Lebensversicherung auch geschrieben oder davon erzählt. Ich werde dieses Jahr 30 Jahre alt und habe auch das Gefühl, nicht allzu viel erreicht zu haben Mit meiner Filmemacherei in meinem Leben bisher. Und Sie selbst waren ja an einem Punkt in Ihrem Leben, wo Sie alles hinschmeißen wollten, wo Sie einen Suizidversuch begannen. Und danach haben Sie angefangen, Filme zu machen und kamen zu immensem Erfolg. Was wäre denn passiert, wenn der Erfolg nicht eingetreten wäre?

Georg Stefan Troller

Na ja, ich hätte so an mir gezweifelt, dass ich nicht mehr hätte mit mir leben wollen. Aber es ist sicher nicht so sehr der Erfolg. Obwohl ich sage ja nichts gegen Erfolg, aber die Selbstversicherung, Selbstaufmunterung, die man dadurch gewinnt, dass solche Filme dabei entstehen und dass sie gut sind und dass sie ankommen. Ja, das gibt einem ihre Lebenszuversicht. Und ganz im Allgemeinen und die totale Unsicherheit meiner Migrantenzeit und Militärzeit ist ja damit verschwunden. Mehr oder weniger. Ja, und du hast mit dir leben können. Wäre das nicht passiert? Keine Ahnung. Ich habe in so vielen Beziehungen Glück gehabt in meinem Leben. Und verdanke auch viel meinem Vater. Und anderen Menschen. Es ist so oft an der Kippe gestanden und dann hat es sich wieder zum Besseren gefügt. Lag das an mir? Am Schicksal? Gott? Ich weiß es nicht. Aber wäre das nicht passiert, habe mich das oft gefragt Was zum Teufel hättest du mit deinem Leben angefangen? Habe keine spezifischen Talente, bin nicht zum Kaufmann geboren, habe keine Ahnung, wie man Geld verdient und wie man Beziehungen herstellt und solche Dinge. Das hatte ich ja alles nicht. Und ich weiß, dass mein Vater mir einmal gesagt hat, Da hatte ich gerade meine ersten Erfolge mit dem Pariser Journal, und er sagte: “Ja also Georgi, das aus dir was geworden ist, ich verstehe es ja nicht.” Ich auch nicht. Ich verstand es auch nicht. Ja, ja.

Adrian Schwartz

Aber das bedeutet, dass der Wert Ihrer Arbeit für Sie selbst sehr, sehr groß war in Ihrem Leben.

Georg Stefan Troller

Lebensbedingend. Ja. Sonst hätte ich gar nicht gewusst, wofür ich lebe.

Adrian Schwartz

Und deswegen haben Sie auch wie ein Besessener gearbeitet.

Georg Stefan Troller

Der war Lebensrettung, Selbstrettung. Na ja, wie gesagt, Selbstrettung über andere. Also indem ich an anderen Menschen herauszufinden suchte, wie sie überleben, womit sie überleben konnte ich das für mich abzweigen. Konnte ich für mich lernen. Bin ja gegen... Bin ja Gegner der Psychoanalyse. Aber ich glaube, dass man sich am eigenen Schopf aus der Misere herausarbeiten kann. Und mein Weg war eben über andere, über diese 100 oder vielleicht mehrere 1000 Menschen, die ich befragt habe: “Wie machen Sie das, so zu sich selber zu stehen?” Und sie haben mir mehr oder weniger ihr Geheimnis anvertraut.

Adrian Schwartz

Würden Sie also sagen, dass man auf eine gewisse Art und Weise besessen sein muss, um in diesem Beruf zu überleben?

Georg Stefan Troller

Dass man was sein muss?

Adrian Schwartz

Besessen von etwas, um es wie Sie besessen davon waren, das Leben über andere zu erkennen.

Georg Stefan Troller

Also, um eine Karriere zu machen, in der in dem Metier muss man besessen sein. Ja, das stimmt. Ich wusste gar nicht, dass ich davon besessen sein würde. Es ist alles der Auswuchs der jugendlichen oder kindlichen Dichterpose, von der ich als Junge gelebt habe. Womit natürlich nichts zu holen war. Ich konnte nicht singen wie der Wolf Biermann, Ich konnte nix als als Gedichte schreiben, die niemand interessierten. Und nun? Auf einmal gab es die Möglichkeit, unter Zuhilfenahme aller meiner minderen Talente. Ich hatte auch ein Talent für Bild. Ich sah ja Bilder, ja, war ja Fotograf gewesen und so weiter. Die Verbindung aller meiner Talente zusammen ergab das einzige, was überhaupt für mich möglich war: Dokumentarfilmer zu werden.

Adrian Schwartz

Und auch ihre Lebenserfahrungen. Bei der US Army zum Beispiel.

Georg Stefan Troller

Also ja. Aber ich kann das nur als ein Glücksfall empfinden, weil ich mich jahrzehntelang gefragt habe Was soll ich überhaupt auf dieser Welt? Ich weiß ja, dass ich habe in der Emigration die verschiedensten blöden Berufe ausüben müssen. Und ich hätte auch so enden können, ja? Da gab es in New York den Beruf der Push Boys, äh, in der. In der Modebranche, in der Kleiderbranche wurde die, befanden sich ja alle in den Westvierzigern von Manhattan, wo sie die Kleider von einem Fabrikanten zum andern gerollt auf Rollwägelchen und jedes Haus, das er hatte, seine Spezialität Knopflöcher, Kragen usw, bis das Kleid vollendet war. Aber da haben ein halbes Dutzend Firmen dran gearbeitet, und die Jungs, die diese Wägelchen mit je 20 oder 30 Kleider an Bügeln von einem Laden zum anderen, von einem Fabrikationsort zum anderen hießen Push Boys. Und ich sah mich als Push Boy enden. Die waren zum Teil alte Herrschaften. Ich sah mich Push Boy beginnen und als Push Boy enden, weil ich nicht wusste, wozu ich fähig gewesen wäre.

Adrian Schwartz

Sind Sie dann auch mit einem gewissen Lebensverdruss in die Army gegangen?

Georg Stefan Troller

Ja, das war eine Lösung für das Problem. Dass ich nie den richtigen Job hatte, nie richtig irgendetwas, was mich selber interessiert hätte. Bis ich in die Armee kam. Und da war ich ja schon. Da war ich ja schon 20 oder so. Na ja.

Die Amerikaner haben ja mit einer Zugänglichkeit sondergleichen jeden Kriegsveteranen mit einem Geschenk bedacht. Entweder er kriegt eine Wohnung, oder er kriegt genug Geld, um zu studieren. Und ich nahm das Studium an und alles begann mit meinem Studium an der Universität von Kalifornien, wo ich nachher merkte, dass ich den anderen Studenten zumindest gleichwertig, wenn nicht überlegen war. Obwohl ich keine... Ich habe ja noch nicht einmal eine Reifeprüfung. Und das war doch dann eine, eine erste Chance. Drei Jahre Studium gratis.

Adrian Schwartz

Aber die haben sie, diese Chance, haben Sie ja in dem Sinne ausklingen lassen oder genutzt, dass sie durch Mexiko gezogen sind - verirrt.

Georg Stefan Troller

Dass ich was?

Adrian Schwartz

Dass sie durch Mexiko gereist sind und sich dabei verirrt haben, mehr oder weniger.

Georg Stefan Troller

Das war meine Vagantenzeit. Das ist auch wichtig gewesen.

Adrian Schwartz

Auf eine andere Art...

Georg Stefan Troller

Auch das gehörte zur Selbstversicherung, dass man lernt, auf sich selber zu sich selber zu trauen und so weiter Das war ja dann ganz toll. Von San Francisco bis nach Guatemala City und zurück nach New York, das war schon allerhand.

Adrian Schwartz

Ja, als ich das gelesen habe, war ich sehr neidvoll, möchte ich sagen. Dass hat sich sehr abenteuerlich gelesen.

Georg Stefan Troller

Es war abenteuerlich. Ja.

Adrian Schwartz

Was glauben Sie denn, Herr Troller, jetzt mit 100, bald 104 Jahren? Richtig?

Georg Stefan Troller

Na, na, na. 103.

Adrian Schwartz

Ja, ja, aber bald. Ja. Was glauben Sie denn? Haben Sie es geschafft, den Lebensverdruss von damals umzukehren? Ja.

Georg Stefan Troller

Ich bin ein viel angenehmerer Mensch geworden. Seit ich mich selber akzeptieren kann. Wozu ich sagen muss, dass der Dreh für mich, der Dreh selber, über Jahrzehnte hinweg, für mich sehr nervenaufpeitschend war. Und und ich mich oft gestritten hab mit dem Kameramann und so weiter. Wird der Film etwas oder wird er nichts? Man wusste es nie. Man hatte eine Ahnung, was man wollte, aber das kam dann auf Anhieb ja nicht zustande. Du hast für einen 30 Minuten Film oder ein 45 Minuten Film hast du vielleicht 6 bis 10 Drehtage, wenn es in der Zeit regnet, ja, da fallen schon mal die Außenaufnahmen aus usw. Alles kann schiefgehen, oder die Leute fühlen sich nicht wohl oder haben keine Lust oder müssen auf einen einen Tag abfahren, wegfahren und so. Alles kann schiefgehen. Und der Sender akzeptiert ja nicht, dass etwas schiefgeht. Er hatte sehr viel Geld dafür gezahlt, das es alles richtig hinhaut. Das ist schon nervenaufreibend. Ich kann mich nicht an einen einzigen Filme erinnern, wo das nicht nervenaufreibend aufreibend war.

Adrian Schwartz

Muss man dafür hart werden, um das zu überstehen?

Georg Stefan Troller

Bitte?

Adrian Schwartz

Muss man dafür hart werden, ein harter Hund sein, um das zu überstehen?

Georg Stefan Troller

Sehr viel hängt, hängt es von dem Vertrauen ab, das du zu deinen Teammitgliedern hast. Das ist für mich sehr wichtig, mit dem Kameramann, mit der Cutterin Freundschaft zu pflegen und ihnen zu vertrauen, dass das, was sie machen, schon das Richtige sein wird. Das war wunderbar. Ja, es war nicht nur du, es waren die Teammitglieder, die mit ihrer Begeisterung, mit ihrer Anhänglichkeit den Film mitgeschaffen haben. Und das war doch wunderbar. Sowas kannte ich ja nicht, war immer Einzelgänger gewesen. Aber auf einmal war da jemand, der da war für dich. Das war ganz toll.

Adrian Schwartz

Aber diese Beziehung bedeutet ja nicht nur Stabilität und Sicherheit, sie bedeutet ja auch Streit, Auseinandersetzung, Was? Wie? Wie haben Sie diese Beziehung gelebt zu Ihren Teammitgliedern?

Georg Stefan Troller

Na ja, das war schon ein Problem. Ich war ja nie zufrieden. Ich hatte immer Angst, dass das, was wir da machen versaut ist. Eigentlich hatte ich immer im Kopfe, dass ab dem ersten Drehtag, ab der ersten Drehminute alles so stimmig sein muss, wie ich es erhofft hatte. Das fand aber sehr selten statt. Und das habe ich natürlich am Kameramann usw. ausgelassen. Ich hatte ja immer eine Art Vorstellung, wie der Film mit dieser Person auszusehen hatte. Und da war der Widerstand dieser Person, der möglicherweise gar nicht so gedreht werden wollte, wie ich wollte. Und dann der Kameramann, der er auf seine Art die Sache gedreht hat. Hauptsächlich mein Kameramann Karl Franz Hutterer war ein Weitwinkelarbeiter. Er arbeitete immer und zwar meistens aus der Hand, ohne zu gucken. So, ja? Mit Weitwinkel. Das ist dermaßen verunsichernd. Du weißt ja nicht und er weiß nicht, ob du was drauf, ob es richtig gerahmt ist, ob es stimmt, ob das Bild stimmt. Ja? Das macht ihn nervös. Bitte mach das anders, ja? Nein, ich mache es so! Ich war schon ganz schön hart.

Adrian Schwartz

Da mussten Sie Nerven beweisen.

Georg Stefan Troller

Ja ja. Der Sender ist ja gnadenlos. Ein versauter Film. Rüge. Zwei versaute Filme und du bist draußen. Ja. Was machst du dann? Gefeuert vom eigenen Sender nimmt dich kein anderer auf. Kannst eine andere Beruf...

Adrian Schwartz

...beginnen. Ja, das ist hart. Es sind keine groß großen vergnügungsvollen Aussichten für uns junge Filmschaffende hier. Aber ich finde eine Sache, die so bestechend ist an Ihren Filmen ist, dass Sie immer wie eine Explosion sind. Die Filme sind so stark komprimiert. Die Geschichten, die Sie über diese Menschen erzählen. Und auch das ist ein. Ein Moment in diesen Filmen, den ich so unglaublich überzeugend finde. Weil es immer so wirkt, als wären Sie der Sprengmeister des Films, Als wären Sie der Sprengmeister des Films. Wie definieren Sie denn Ihren Stil selbst?

Georg Stefan Troller

Na ja. Ich war immer schon. Innerlich eingestellt auf Wandlung oder Verwandlung. Realität in Bilder zu verwandeln. Das, was ist, in deine Darstellung zu verwandeln. Ist ein Lebenszweck. Davon kann man leben. Dass du damit gleichzeitig dich selbst auch wandelst. Bin mit jedem Film irgendwo ein anderer geworden, ja? Das ist ein Bonus, der mitspielt. Also im Großen und Ganzen auch sehr positiv. Auch wenn, auch wenn du dir manchmal gestehen muss, dass nicht das rausgekommen ist, was du erhofft hast. Das muss man halt hinnehmen.

Adrian Schwartz

Ja Und wie oder wo entsteht dieser Stil, den Sie kultiviert haben? Entsteht er bei Ihnen oder entsteht er im Schneideraum?

Georg Stefan Troller

Na ja, alles zusammen. Teils mein eigener künstlerischer Instinkt. Teils Kameramann, teils Cutterin, jeder hat dazu beigetragen. Man übersieht allermeistens den Beitrag des Schnitts. Aber was wir mit Schnitt alles geschafft haben, ja. Ich bin ja ein ungeduldiger Mensch und bei mir läuft alles mit Tempo und keine langweiligen Momente, keine Verzögerungen usw. Und dazu muss eben der Kameramann sein eigenes Temperament einsetzen und die Cutterin ihres. Und das hatte ich. Dieses Glück hatte ich, dass ich da zwei Menschen fand, die meinem Temperament entsprachen. Am Anfang, saß ich im Schneideraum und hab die Cutterin belämmert, was die ja besonders hassen. Äh, und nach einem Jahr oder so habe ich dann ja genug Vertrauen gehabt, um zu sagen: “Mach das mal”. Aber ich habe immer bei Abnahme des Rohmaterials wahnsinnig mitgeschrieben. Schon dass ich über viele Seiten hinweg ein komplettes Bild des Materials hatte. Und dann habe ich mich hingesetzt und meistens in einer Nacht den Ablauf, die Ablauffolge, skizziert. Ganz genau mit den Sekundenlängen, die ich davor gesehen habe. Und danach konnte sich auch die Cutterin richten, konnte dann natürlich ihr eigenes beibringen, aber das Tempo der ganzen Sache, die Tatsache, dass es keine langweiligen Momente gibt. Ja, das ist meiner eigenen, jüdischen Ungeduld zu verdanken. Ja.

Adrian Schwartz

Was haben Sie getan, wenn das eigene Gefühl Ja für diese Ungeduld, ja, wenn das in Ihnen aufgekommen ist, wenn Sie Ihr Interview geführt haben oder die Menschen besucht haben. Wenn es zu redundant wurde, zum Beispiel. Wenn es zum Beispiel zu redundant wurde.

Georg Stefan Troller

Na ich muss schon sagen, die meisten Menschen waren von meinem Drehtemperament angetan. Sie merkten, dass da jemand ungeduldig immer weiter bohren wird. Und die meisten waren damit einverstanden, ja? Sie waren nicht gelangweilt. Das ist ja das Schlimme, dass du da wo hinkommst und die Leute haben schon hundertmal Filme gedreht und und und sind einfach voll gelangweilt. Und du kannst hier nichts Neues bringen. Ja, das ist ganz schlimm.

Adrian Schwartz

Was hat Ihre Ungeduld denn befriedigt, nachdem Sie aufgehört haben, Filme zu machen?

Georg Stefan Troller

Na ja, ich habe immer noch geschrieben, habe 17 Bücher geschrieben und schreibe nach wie vor Artikel. Und das war schon ein guter Ersatz für mich. Das hat mir schon Spaß gemacht.

Aber ein richtigen Ersatz für diese Fusion von Bild und Worten, Musik und Tempo usw gibt es nicht. Das gibt es nur einmal und ich hatte das Riesenglück, dass ich in dem Moment einsteigen durfte, wo die ganze Sache überhaupt erst begann. Ja, ich habe ja meine ersten Fernsehfilme gemacht, ohne je einen Fernseher zu besitzen, Hatte keinen, hatte nicht, hatte nie Fernsehen geguckt, ja, ich dachte, Fernsehen ist so was wie Kino. Das musste ich ja alles lernen. Ja, ich kann mich noch an meine ersten Fernseher erinnern. Ja, dann. Da merkte ich, Das kann ich. Das kann ich auch. Ja. Zum ersten Mal in meinem Leben merkte ich, dass ich etwas auch konnte.

Adrian Schwartz

Also, das Filmemachen fehlt ihnen schon?

Georg Stefan Troller

Sagen wir mal, ich weiß nicht, ob ich der Nervenanspannung heute noch gewachsen wäre. Ja, ich würde es gerne machen. Ich hab ja, nachdem ich vom Sender ausgeschieden bin, noch zehn Jahre lang Filme gemacht für privat. Privatproduzenten. Ich merkte dann, dass die innere Spannung nachlässt. Denn innere Spannung hat etwas mit Jugendlichkeit zu tun, mit Selbsterfüllung, die nur der Jugendliche anstrebt und das war dann nicht mehr da. Und die die Begierde, Welt zu Bild zu verwandeln hat dann auch nachgelassen. Man beginnt dann sich mit der Welt, auszusöhnen, nimmt sie hin, wie sie ist, während sie vorher nur gut genug war, dass du etwas damit anfängst. Das musst du dann nicht mehr, wenn du mal 70 oder 80 bist, musst du nicht mehr unbedingt mit der Welt etwas anfangen. Du lässt sie halt auf dich zukommen.

Adrian Schwartz

Ja, das ist ja auch dann vielleicht mal in Ordnung. Nach so vielen Jahren noch.

Georg Stefan Troller

Ja, so muss es sein.

Adrian Schwartz

Und gibt es etwas im Alter jetzt, das Sie bereuen oder das Ihnen, was Sie versäumt haben in Ihrer Karriere, Was Sie, was Sie vielleicht auch in Ihren schmerzlichen Stunden umtreibt?

Georg Stefan Troller

Nee, ich glaube, ich habe die gemischten Talente, die ich besaß, keine überwältigenden, aber viele mildere Talente, in Verbindung gebracht zu dem, was ich produziert habe. Ich hätte es nicht besser machen können, als ich es machte, und bin insofern ganz zufrieden mit mir (lacht).

Adrian Schwartz

Und wenn Sie heute noch mal in unserem Alter wären, würden Sie auch anfangen, Filme zu machen?

Georg Stefan Troller

Wenn ich heute?

Adrian Schwartz

Wenn Sie jetzt in unserem Alter wären, heute, wenn Sie jetzt 30 wären, würden Sie dann noch mal Filme machen?

Georg Stefan Troller

Ich denke schon. Ja, Ich wüsste nichts anderes, das mir so liegt. Ich meine, ich schreibe gerne. Und so weiter. Aber die Verbindung aller kleinen Lebenswünsche zu einem einzigen Medium konnte mir nur das Fernsehen bringen. Ich wäre kein Spielfilmregisseur geworden. Das liegt mir nicht. Und und viele andere Dinge, kein Drehbuchautor usw. aber.

Adrian Schwartz

Das sind Sie ja geworden, der Drehbuchautor.

Georg Stefan Troller

Schwach, schwach. Er. Aber die Verbindung von den verschiedensten kleinen Talenten gab mir die Chance, das zu machen, was ich machte. Insofern kein Bedauern.

Adrian Schwartz

Und auch kein Versäumen?

Georg Stefan Troller

Ne. Aber es geht mir ein bisschen die Spannung ab, die mein Leben so viele Jahre erfüllt hat. Ja. Anreise des Teams, erste Vorbesprechung, Zusammentreffen mit der Person usw. Alles Spannungsmomente. Ich musste ja- Es ging nicht immer glatt mit der Person, mit der wir drehten, ein Vorgespräch führen. Einmal konnte man, manchmal nicht, manchmal nur telefonisch. Aber eine Stunde, in der ich herausfinden musste, ob das einen Film gibt oder nicht und wie der Film in etwa auszusehen hat. Ob diese Person mir Vertrauen schenken wird. Das alles hast du in einer Stunde feststellen müssen. Vorgespräch.

Adrian Schwartz

Ich darf Ihnen verraten, dass die Spannung wir heute mitgebracht haben, weil für uns war das natürlich genau so ein Moment. Für mich ganz besonders. Ich musste gestern Abend, gestern Abend hatte ich erfahren, dass meine Freundin krank sein wird und habe dann noch den Jan spontan rekrutiert, um mit ihm auf die Reise zu kommen. Also ich kann Ihnen das vielleicht ein bisschen zurückgeben, dass dieser Moment jetzt auf der anderen Seite entsteht oder entstand.

Georg Stefan Troller

Es kann immer schief gehen. Es sind vor allem so viel technische Probleme zu bewältigen. Ja. Eine Einstellung, die schief gegangen ist, wenn sie eine Schlüsseleinstellung ist, und der ganze Film ist versaut. Das ist schon ganz schön anstrengend.

Adrian Schwartz

Vielleicht nochmal, um auf das Heute sprechen zu kommen. Der Dokumentarfilm hat jetzt ja nicht gerade den leichtesten Stand. Er wird eher als Auftragsproduktionen gesehen. Und heute gibt es ja doch so viele Möglichkeiten für die Menschen, sich selbst zu inszenieren, vor die Kamera zu stellen. Was erwarten Sie sich denn von jungen Filmschaffenden heute, wenn sie die Zukunft an die Zukunft denken?

Georg Stefan Troller

Das was mir, in dem was ich da im Fernseher sehe, abgeht, ist psychologische Neugier und psychologische Feinfühligkeit. Die sind heute alle auf Effekte aus und sich selber in Szene setzen. Sich wichtig machen. Und ich sehe Interviews. Die ziehen sich hin und ziehen sich hin und es kommt nichts dabei heraus, das mich wirklich interessiert, wo ich das Gefühl habe, hier wird Neuland betreten.. Die Technik vervollkommnet sich von Tag zu Tag. Es wird immer Neues, es kommen immer neue Möglichkeiten der Darstellung. Dabei ist das einzige auf der Welt, das uns wirklich interessiert: Wie funktioniert der Mensch? Ist das, Ist das irgendwie subtiler geworden? Ich bezweifle es, mit Ausnahme von einigen Spielfilmen natürlich, aber nein. Wir haben jetzt, wie viele Monate Israel-Hamas-Krieg? Ich habe noch nicht einziges Mal einen Hamas-Gläubigen reden hören. Ja. Wie fühlt der sich? Was? Was ist es? Und solche Dinge sind ewig schade.

Wenn da ein Frieden geschlossen werden soll, so kann er ja nur auf Verständnis beruhen. Äh, gegenseitigem Verständnis. Und da hapert es. Da. Da sehe ich keine Fortschritte.

Adrian Schwartz

Ja, das kann ich gut verstehen. Welches Menschenbild, nach all den Jahren, in dem Sie Film gemacht haben, welches Menschenbild ist Ihnen denn geblieben, Herr Troller?

Georg Stefan Troller

Ja, Ja. Ich lese ja jeden Tag die New York Times, unter anderem. Das sind 12 Seiten oder 16 Seiten. Und davon interessiert mich eine Seite. Maximal zwei. Alles übrige. Ja. Was bedeutet es? Kann natürlich mein Problem sein. Ja, verstehe ich auch. Aber es ist auch der Mangel an Verständnissucht, oder Verständniswille. Äh.

Ich glaube, der lässt jetzt nach in der Menschheit, die sich immer mehr für Technik interessiert. Ja, jetzt Künstliche Intelligenz. Mein Gott, damit haben Sie jetzt zehn Jahre lang zu tun. Ja, aber inwieweit bringt es die menschliche Intelligenz zum Blühen, zur Entwicklung? Keine Ahnung.

Na gut. Äh, ja. Hat man alles umsonst gemacht?

Ich denke ja (lacht), na man hat vielleicht fünf oder zehn Leute beeinflusst. Äh.

Der Mensch ist unveränderlich und alles, was ich sehe und lese und in der Zeitung lese ich. Okay. Der Wiener sagt: “Eh scho wissen.” Also Dinge, die man ohnehin schon weiß.

Adrian Schwartz

Ich darf Ihnen versichern, dass Ihre Filme und Ihre Arbeit einige Menschen beeinflussen, die auch jetzt noch jung sind. Ja, weil es gibt immer wieder in meinen Erfahrungen, in meinem Unterricht, den ich erlebe, den andere machen, andere FilmemacherInnen machen, gibt es immer wieder den Moment, wo ihr Name fällt. Oder der berühmte Satz: “Wir sind alle Menschenfresser.” Und dann wird zurück auf sie referiert und so (Troller schüttelt lachend den Kopf). Ja, ja, ja, den Satz, den haben Sie an sich kleben.

Aber ich möchte Ihnen damit nur zusichern, dass das eine Rolle spielt und dass Sie beeinflussen, dass Sie nach wie vor Leute beeinflussen.

Georg Stefan Troller

Den Satz: “Wir sind alle Menschenfresser”, hat man mir ja sehr übel genommen...

Adrian Schwartz

Nicht mehr, glaube ich.

Georg Stefan Troller

...aber vielmehr um wirklich der Feind zu sein. Habe übrigens auch mit Menschenfressern gedreht. In Neuguinea. Sehr lustige, vernünftige Menschen.

Adrian Schwartz

Ein Dilemma, das mir aufgefallen ist. In Ihren Filmen oder im Filmemachen allgemein. Ein Dilemma, das ich bemerkt habe, ist in Ihren Kommentaren im Film wehren Sie sich immer gegen Menschen, die totalitär sind oder die Egozentriker sind und gleichzeitig muss man das ja aber selbst ein Stück weit sein, um Filme zu machen, oder? Ja, wie kommt man damit zurecht?

Georg Stefan Troller

Wie kommt man mit was zurecht?

Adrian Schwartz

Mit dem Dilemma, dass man einerseits Menschen filmt und kritisiert, die egozentrisch sind, auf sich konzentriert sind und gleichzeitig muss man ja selber ein stückweit Egozentriker sein, um Filme zu machen. War das ein Dilemma, Ein Widerspruch, in dem Sie sich selbst gefangen gesehen haben?

Georg Stefan Troller

Ja. Manchmal traf ich mit Leuten zusammen, wo ich mir sagte: “Das bin ich selber, dass muss ich nicht von ihnen lernen”. Ja. Ich muss aber sagen, dass ich ja das Recht hatte, mir die Leute auszusuchen, mit denen ich drehen wollte. Ja. Und hab dann schon die gefunden, die mir Dinge gaben, die nicht selber hatte. Das war schon sehr wichtig. Aber es stimmt, dass man das ist ja das Wesen der Liebe und darum geht es ja, dass man im anderen das findet, was man selber spürt, der man selber hat. Nicht unbedingt die blöden und bösen Dinge, sondern auch die andern. Und diese Übereinstimmung der Gefühlsmöglichkeiten zwischen der anderen Person und dir, war mir schon sehr wichtig. Einerseits zur Selbstbestätigung und andererseits weil jede Art von Liebe, und darum ging es ja jedes Mal, dich so bereichert. Es ging immer um die Frage, kann ich mich in diese Person verlieben? Und wenn ich das Gefühl hatte, das ich konnte, dann kamen auch die richtigen Fragen und der Film lief so wie ich wollte, ja. Aber Personen, die mir nicht eigentlich lagen, brachten dann schlechte Filme zustande.

Was soll's? Es ist nun mal so, dass man sich die Personen aussucht, über 20 Jahre hinweg, mit denen man drehen will, ist doch heute schon praktisch nicht mehr möglich. Ja, das ich das konnte also eigentlich über 30 Jahre hinweg, ist ein solcher Glücksfall.

Adrian Schwartz

Ja, das ist schon ein Geschenk. Ja, auf jeden Fall auch.

Georg Stefan Troller

Ja. Das hat mit der Entwicklung des Fernsehens zu tun. Und irgendwie irgendwie auch mit meiner Persönlichkeit. Ja.

Adrian Schwartz

Aber wenn Sie von Liebe sprechen, dann war es für für Sie nie eine Option, einen Film aus Ablehnung heraus zu machen?

Georg Stefan Troller

Nein.

Adrian Schwartz

Aber Sie haben ja zum Beispiel auch einen Film über einen Neonazi gemacht.

Georg Stefan Troller

Ja.

Adrian Schwartz

Oder über Verbrecher, Mörder?

Georg Stefan Troller

Ja, aber doch selten. Meistens ging es um ein Liebesangebot und der Film war die Liebeserklärung. Ist ja auch üblich. Auch im Spielfilm. Ja. Der Regisseur oder der Produzent suchen sich die Drehbuchautoren und Schauspieler aus, mit denen sie können. Und das ist doch ein Liebesangebot. Das war für mich eine grundlegende Voraussetzung, dass das Ding richtig wird. Kann man sich in diese Person verlieben? Kann man sie dazu bringen, dich zu lieben? Wenn auch nur eine Woche lang? Ja, das ist schon. Darum ging es letztlich ja. Und das war einer der Gründe, warum diese Filme funktioniert haben, dass man das heraus gespürt hat, glaube ich.

Adrian Schwartz

Und wie fühlt es sich jetzt an, für Sie vom Interviewer zum Interviewten zu werden? Sie haben jetzt so viele Interviews gegeben, seit Sie keine Filme selbst mehr machen oder auch schon davor. Was ist das für ein neues Gefühl?

Georg Stefan Troller

Na ja, ich hab das Gefühl, dass ich schon alles gesagt hab. Ich will mir nicht ewig wiederholen. Ich danke Ihnen, dass Sie die eine Frage nicht gestellt haben, die ich hasse. Was ist denn nun eigentlich Ihre Heimat?

Adrian Schwartz

Das ist ja auch eine Definitionssache, mit der Sie persönlich zurechtkommen müssen. Also mir ging es ja auch um den, Filmemacher Troller. Und der Mensch Troller, der versteckt sich ja dahinter, und den will ich ja über die Filme sehen, kennenlernen. Ich hab ja viel zu Ihrer Emigrationsgeschichte gelesen, aber als Filmemacher geht es mir natürlich um das Filmemachen und um den Bruder im Geiste, wie gesagt, also den Wegbereiter, den ich jetzt hier vor mir sitzen habe.

Aber Sie haben einerseits gesagt, Sie wollen sich nicht wiederholen mit dem, was Sie sagen, aber andererseits haben Sie denn auch jetzt schon alles gehört? Gibt es denn noch eine Neugier in Ihnen?

Georg Stefan Troller

Ja, ja, ja. ((Anm. des Autors: zu seiner Katze Foxy gewandt) Was sagt er? Was ist das? Was will er ausdrücken? Da, Guck mal! Bewegt doch den Mund! Er will doch irgendetwas sagen. Das herauszufinden, ist schon eine Lebensaufgabe.

Adrian Schwartz

Das ist eine schöne Antwort auf diese Frage.

Georg Stefan Troller

(Anm. des Autors: zu seiner Katze Foxy gewandt) Ja, richtig so. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja.

Adrian Schwartz

Ihr treuer Zeitvertreib.

Georg Stefan Troller

Naja, man befasst sich jetzt sehr viel mit der Katze. Ich treffe ja auch nur mehr sehr wenig Menschen. Und habe eigentlich kein großes Bedürfnis mehr zum Gedankenaustausch. Da ging es doch immer darum, dass man den anderen von der eigenen Meinung überzeugen will und dieses Bedürfnis habe ich nicht mehr. Das vergeht dann mit dem Alter.

Adrian Schwartz

Aber gibt es etwas, was Sie uns als junge Filmemacher fragen wollen? Gibt es Gedanken, die sich an uns richten, an Ihre jungen Kolleginnen und Kollegen, die auf der Straße stehen jetzt und diese Filme machen?

Georg Stefan Troller

Ja, die Selbstbefragung. Habe ich denn genug Lebenssucht oder Neugier, oder was immer das ist, um eine ganze, lebenslange Karriere durchzuziehen? Das war bei mir der Fall. Aber das ist die Sättigung einer Mangelerscheinung gewesen. Kein Übermaß. Ja.

Na ja, man muss seine eigenen Motivationen erforschen. Ja? Haben Sie genug, oder habe ich genug Lebensneugier, Lebenssucht? Äh. Menschensucht. Um dieser Sache ein ganzes Leben zu widmen, oder nicht? Keine Ahnung. Ich wusste es ja auch von mir nicht.

Adrian Schwartz

Und ist es das, was Sie uns wünschen? Oder wünschen Sie uns noch etwas anderes?

Georg Stefan Troller

Ja, ich wünsche Ihnen, dass das hinhaut.

Adrian Schwartz

Vielen Dank. Das ist schon mal gut für uns. Herr Troller. Vielen Dank. Ich habe keine weiteren Fragen, außer ganz viele Fragen, die sich an Ihr Leben richten und alles Mögliche, was ich gelesen hab. Aber das ist. Das geht weit über die den Rahmen dieses Interviews hinaus.

Georg Stefan Troller

Aber wenn ich lese oder höre, ja, ich lese nicht mehr so viel, da, aber ich höre den Roman Lichtspiel von, äh. Kann mir keinen Namen merken. Da geht es um den. Um den Filmemacher Georg Wilhelm Pabst, der die Dreigroschenoper gedreht hat usw. Also ganz berühmte Filme der, obwohl er kein Jude war, nach Amerika auswanderte und dort sehr von oben herab behandelt wurde. In Hollywood und nach Nazideutschland zurückgehen und in Nazideutschland selber Karriere machte, obwohl er Neonazi gewesen war, sondern eher ein roter. Äh, sehr interessant. Kehlmann ist der Autor. Ja, das höre ich jetzt gerade auf auf, auf CD. Und darin wird unauffällig gefilmt, gedreht, geschnitten usw und so vieles davon kommt mir vertraut vor. Das ist dann toll.

Adrian Schwartz

Was sind denn Ihre, wenn Sie sich zurückerinnern an Ihr lange, langes Filmschaffen? Was sind denn Ihre lieben Kolleginnen gewesen, die Sie nicht vergessen haben, durch deren Arbeit Sie auch selbst gereift sind oder beeinflusst wurden?

Georg Stefan Troller

Na ja, Filmemacher wie Fechner oder es gab ja eine englische Dokumentarschule und die haben ja zum Teil den Kommentar in Reimen abgefasst. Warum soll das nicht möglich sein? Das ist doch. Es ist doch eine Erweiterung des. Und übrigens. Von wegen diese sogenannte Stuttgarter Schule, dass man nur beobachten darf, versteckte Kamera usw. Schon der allererste Dokumentarfilm der Filmgeschichte “Nanuk, der Eskimo” von Flaherty war von A bis Z gestellt. Ja, na ja.

Adrian Schwartz

Davon halte ich auch nichts. Ich glaube, dass die subjektive Betrachtung sehr viel mehr, wie Sie es auch vorhin gesagt haben, sehr viel mehr, sehr viel mehr Ehrlichkeit hervorbringt. Wie ein zurückgenommenes, sogenannt objektives Betrachten.

Georg Stefan Troller

Ja, ich meine, es kann auch interessant sein, aber es dann darauf abzustellen, also dass man nie etwas dreht, was gestellt ist, das finde ich grotesk. Auch im eigenen Leben wird ja sehr viel gestellt. Ja, wer lebt denn total spontan vor sich hin? Und dann glaube ich, gibt es noch Möglichkeiten. Also zum Beispiel einen autobiografischen Film zu drehen über sich selber, mit der Kamera, die dauernd läuft, ja? Das könnte schon ganz schön interessant sein.

Adrian Schwartz

Ich habe zumindest mit solchen Formen experimentiert des Dokumentarfilms. Ich habe zum Beispiel eine Reise in den Kongo vor zwei Jahren gemacht und diese Reise als Weißer mit meinen Selbstzweifeln, was sich denn da im tiefsten inneren Kongo will, habe ich dann in einem Audiokommentar über die Reise Bilder gelegt, die ich gefilmt habe. Während der Reise. Also es sind genau solche Filmformen oder Themen, mit denen ich mich derzeit auseinandersetze.

Deswegen ist es so schön mit Ihnen zu sprechen natürlich. Also ich komme jetzt nicht hierher, ohne das schon selbst gemacht zu haben. Ich habe jetzt schon mehrere Filme gemacht, die das Kommentar beinhalten oder mich selbst auch beinhalten plus Kommentar.

Georg Stefan Troller

Das müssen Sie jetzt natürlich sehen, aber alles klar. Na ja, und dann gibt es, hab jetzt den Namen vergessen, einen in der DDR. Der hat über 20 Jahre hinweg mit denselben Leuten gedreht, also von deren Kindhet fort bis heute. Das ist doch interessant, wie ein Mensch sich entwickelt. Man stellt es vor der Kamera daher. Die beginnen mit dem kleinen Knaben und mit einem riesen Typen.

Adrian Schwartz

Ja, das ist auch eine Idee, die mittlerweile ja Hollywood aufgegriffen hat. Ja, ja. Richard Linklater wird Linklater hat auch einen Film gemacht, der hat 2014 den Oscar gewonnen. Boyhood heißt der Film, und er begleitet die eine ein Leben eines Jungen von 0 bis 15, Also das hat Hollywood auch schon geklaut.

Georg Stefan Troller

Ja, Also, ist doch gut. Na ja.

Adrian Schwartz

Hoffen Sie, dass das Kommentar im Dokumentarfilm weiter fortbesteht?

Georg Stefan Troller

Ja, Ja. Es. Das Ganze wird sich weiter entwickeln. Aber das Prinzip Bild plus Wort wird immer da sein. Das ist klar.

Ich habe, ja, ich weiß nicht, vielleicht 100 verschiedene Programme auf meinem (Anm. des Autors: TV). Spiele, die am Abend durch. Unter 100 Programmen ist vielleicht eins, das mich wirklich interessiert. Ich weiß auch nicht. Da ist so viel abgesackt. Kann einfach nichts mehr finden. Zwei Stunden lang fummelte ich an den Programmen rum. Die haben sogar ein französisches Programm. Das Arte Programm auf Deutsch. Es läuft stundenlang nur das deutsche Arte Programm.

Adrian Schwartz

Heute muss man die spannenden Filme einfach woanders suchen. Die kommen heute eben nicht mehr im Fernsehen. Leider. Das ist das große Problem. Ja, ja, das Fernsehen ist mehr und mehr eine Dauerwerbesendung. Das ist eigentlich die Form, zu der es verkommen ist. Leider.

Georg Stefan Troller

Ja, es ist so leider. Ja.

Adrian Schwartz

Aber, Herr Troller, wissen Sie denn noch, gab es eine Inspiration oder gab es einen... ein Vorbild, das Sie zu dem Kommentar im Dokumentarfilm veranlasst hat? Oder war das einfach eine Fügung?

Georg Stefan Troller

Es war meine Erfahrung als Radiotyp. Ich musste als Rundfunkmensch innerhalb der drei oder vier oder fünf Minute, die so eine Sendung oder Bericht dauern durfte, stimmungsmäßig und informationsmäßig alles hineinstopfen. Und das hat mir viel beigebracht. Wie kann ich, und es musste auch stimmungsmäßig stimmen, ja, innerhalb von ein paar Minuten alles zusammenraffen, was zu dieser Person, diesem Thema gehört.

Eben fiel mir ein, einer meiner allerersten Auftritte war ein Heine, Heinrich Heine, Geburtstag. War das sein hundertste Todestag oder was auch immer in den 50er Jahren. Einer meiner ersten Auftritte. Ich ging hin zu Heine’s Grab am Montparnasse Friedhof und da standen alle Kollegen von den Zeitungen, Zeitschriften usw, alle Deutschen und machten eifrig Notizen, was sie in ihrem Bericht beschreiben würden. Und da kam ich, Mikrofone in der Hand und habe in fünf Minuten alles heruntergesprochen was dazu zu sagen war. Ja? Und die sahen mich an wie ein. Wie ein Gegner, wie ein Feind, der ihnen ihr Berufsbild kaputt macht. Ja? Und das fiel mir auf. Also ich ging nachher mit meiner Aufnahme in das Studio, lies es Kopieren, hab dann selber noch geschnitten, konnte ich auch und am Abend kam die Überspielung gegen 6:00 also und um 7:00, 7:30 kam die Sendung. Und was die Herrn Kollegen da geschrieben haben, kam zwei oder drei Tage später in den Zeitungen. Und da merkte ich, was für einen Riesenvorsprung ich auf diese Art gewonnen habe.

Adrian Schwartz

Aber das kam ja nicht nur von der Technik, sondern auch von ihrer Zuneigung zur Literatur, zu Poesie.

Georg Stefan Troller

Ja, ja, natürlich. Aber ich wusste, es dürfte nicht länger als fünf Minuten sein. Und da musste ich sagen, worum es geht. Also die Facts, ja? Dann die Stimmung darstellen, in der die ganze Sache das ist wichtig. Publikum wollte in eine Stimmung versetzt werden, ja? Und dann möglicherweise Zukunftsaussichten. Hinweis auf Zukunft Wird Heine immer so geliebt werden, wie man ihn vor hundert Jahren und was weiß ich, ja? Das alles in fünf Minuten. Na ja, da habe ich es gelernt. Übrigens die ersten Jahre habe ich nur für Amerika und für Kanada auf Englisch gearbeitet. Ja, ja. Dann durfte ich auf Deutsch. Das war schon eine schöne Sache. Aber so konzentriert, dass kein Wort zu viel oder zu lange ist. Kein Satz sich hinzieht. Äh. Und natürlich die Sprechweise usw. das musst du ja alles lernen. Aber, äh, vor allem das Tempo, die Kürze, die Zusammenraffung. Und der, wie soll man das nennen, die Melodik des Ganzen, der, das habe ich da rundfunkmäßig gelernt, das kam mir dann bei den vielen Kommentaren sehr zugute.

Adrian Schwartz

Und ist Deutsch dafür auch eine prädestinierte Sprache?

Georg Stefan Troller

Eine was?

Adrian Schwartz

Eine prädestinierte Sprache? Sie sprechen ja verschiedene Sprachen fließend.

Georg Stefan Troller

Na ja. Die richtige Ausdrucksweise auf Deutsch zu finden nach so vielen Jahren Emigration, war nicht einfach. Ja, das war eine Aufgabe, eine Lernaufgabe. Und das war auch eine Herausforderung, dass ich das richtig machte. Und dann entwickelte sich ja eine Rundfunksprache nachher in Deutschland, ja, wie überall. Und das musste ich auch lernen. Das war schon eine dauernde Herausforderung. Und das habe ich geliebt. Das war für mich Wiedereroberung der Heimat.

Adrian Schwartz

Die Ihnen auch zugestanden hat und Ihnen gebührt diese Wiedereroberung. Gibt es denn was? Oder anders gefragt, wenn ich das so fragen darf. Nach so einem Leben, wo man so viel erlebt hat und eine so erfolgreiche Karriere hatte, wie sie eine hatten. Fürchtet man da den Tod noch?

Georg Stefan Troller

Na ja, jeder fürchtet den Tod. Aber ich denk mir, dass das keine große Sache ist, in meinem Alter das zu akzeptieren. Ja. Mein Vater wurde 91, mein Bruder wurde 97. Äh. Also, ich bin dankbar, dass es so lange dauert. Auch für meine Kinder. Aber wenn ich verschwinde, ist das auch kein großer Verlust (lacht herzlich).

Adrian Schwartz

Und finden Sie es nicht zynisch vom Leben, dass ein Mensch, der sich mal das Leben nehmen wollte und ein Lebensekel hatte, die ersten 30 Jahre seines Lebens, so lange lebt?

Georg Stefan Troller

Ja, äh, das gehört zu den Inkongruenzen des Lebens, dass das so läuft. Wenn du glaubst, es ist jetzt, ist aus, jetzt ist fertig usw wirst dann vom neuen, dass es dann erst richtig anfängt, ja? Nach meinem Selbstmordversuch wurde ich ins Krankenhaus geschafft- von der Feuerwehr, oder sowas ja hier - und in ein Bett gesteckt. Und meine Schuhe und Kleider unter das Bett. Und als ich nun bereit war, nach drei Tagen wieder heim zu gehen, waren die Schuhe weg und es regnete und ich musste in Socken zu Fuß - Geld war auch weg - nach Hause gehen. Dieser Moment nach dem Höhepunkt des Selbstmordes, in Socken durch den Regen nach Hause zu gehen hat mir viel von dem beigebracht. Von meinem Lebens meiner Lebensauffassung.

C’est la vie. So ist das Leben, ja? Man hält sich für wahnsinnig. Aber das war ja nicht alles. Es kam mir, während ich da im Hospital lag, kam eine Dame auf mich zu. Ihr Boyfriend hat eine, ist Maler und hat eine Ausstellung in Paris. Ob ich mich erheben könnte und zu der Ausstellung gehen? Ja, ich war gerade noch total benommen. Es ist doch schön, so was. Ja. So ist das Leben. Das musste ich begreifen.

Die Frau, um derentwillen ich mich umbringen wollte, ist jetzt vor zwei Wochen gestorben. In ihren Neunzigern, ja. Ich sah sie da liegen und sagte mir: “Also, deinetwegen habe ich mich umbringen wollen.” Ist doch alles irgendwie grotesk. Und auch dieses Gefühl für das Groteske des Lebens, ist glaube ich, in vielen meiner Filme drin. Ja, äh.

So, jetzt machen wir mal Schluss.

Adrian Schwartz

Vielen herzlichen Dank.

Georg Stefan Troller

Danke Ihnen.

Adrian Schwartz

Besten. Besten Dank. Es war eine ganz, ganz große Ehre. Vielen Dank.

Georg Stefan Troller

(Am. des Autors zu seiner Katze gewandt) Alles klar, kein Problem. Noch einmal streicheln. Ja.

Adrian Schwartz

Der muss auch noch ein bisschen was bisschen Liebe bekommen, nachdem wir auch so viel Liebe von Ihnen bekommen haben in dem Gespräch. Vielen Dank, Herr Troller. Wirklich. Ich nehme noch einen Schluck Wasser und dann sind wir weg.

Georg Stefan Troller

Foxy? Ja.

Adrian Schwartz

Und ich hoffe, dass Sie viel Freude haben mit dem Buch. Möge es Ihnen ein paar interessante Stunden bereiten. Die Hofzwerge.

Georg Stefan Troller

Danke für den Kuchen.

Adrian Schwartz

Ja, klar.

Paris am 13.April.2024, Illustration von Adrian Sauter

Interview mit Georg Stefan Troller von Adrian Schwartz

Ton von Jan Pattscheck

Illustrationen von Adrian Sauter

Besonderen Dank an Daniel Fetzner, Sabine Rollberg, Anna Frandsen

Danke an Thomas Schadt, Thorsten Schütte, Janna Häcker