Innerer Kongo

English Version

audiovisueller Briefwechsel, 35 Minuten, Demokratische Republik Kongo, 2023

Festivals: Shorts Trinationales Filmfestival Offenburg (2023), Asti International Film Festival (2023), International Visual Sociologists Association, Xalapa, Mexico(2024)

Kerosin, Kolonialismus und Kapital – ein weißer Mann im Kongo ist immer auch Täter. Daniel Fetzner (*1966) und Adrian Schwartz (*1994) sind Vertreter zweier Generationen. Zu Beginn des Krieges in der Ukraine reisen die beiden in Begleitung von zwei Psychotherapeuten und einem elektronischen Musiker nach Zentralafrika. Was haben sie in einem Land zu suchen, in dem Weiße nur noch als Vertreter*innen ausbeutender Konzerne oder von NGO´s auftauchen? Der Film “Innerer Kongo” ist eine Selbstreflexion der zehntägigen Odyssee in Form eines Briefwechsels.

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Vertiefungen // Split Screen Interviews

Aufgrund eines autoethnografisch gearteten Werkes (siehe oben) zur Reise in den Kongo und einer generell sehr kurz geratenen Sondierung der Orte und Themen und des drohenden Nichtgerechtwerdens aller Bekanntschaften und AkteurInnen, möchte ich es zumindest mit dem recherchierten Rohmaterial so halten, wie es sich für den solidarischen Forschungsbetrieb gehört, und sie ungeschnitten, aber im Split-Screen angeordnet, bereitstellen. So soll eine möglichst große Transparenz ermöglicht und dem Publikum die Handhabe über den Schnitt (also die Führung des Blickes) selbst überlassen werden. Die Interviews mit den ehemaligen und psychotherapeutisch betreuten KindersoldatInnen Madeleine und Desirée sind auf meinem Vimeo-Kanal zum Download freigegeben und stehen, in der Hoffnung auf einen sinnvollen und respektvollen Umgang, einer fortführenden künstlerischen und/oder wissenschaftlichen Handhabe zur Verfügung. Alle weiteren Informationen entnehmen Sie bitte den Videos in englischer Sprache.

Madeleine

Interview, Uncut, Video h264, 2023, Demokratische Republik Kongo

Desirée

Interview, Uncut, Video h264, 2023, Demokratische Republik Kongo

Innerer Kongo

Ein Text von Kulturtheoretiker und Schriftsteller Klaus Theweleit zum Film

Einer der Ausgangspunkte (oder auch Startrampen) des Essayfilms »Innerer Kongo« von Daniel Fetzner und Adrian Schwartz (D 2023), ist eine Bemerkung Sigmund Freuds, der die Erkundung seiner eigenen psychischen Zustände – speziell die Erkundung unbewußter bzw. vorbewusster innerpsychischer Vorgänge – mit der Erkundung der sog. »weißen Flecken« in Afrika verglich; also die Kolonisierung eines (in den Augen der Kolonisten) weitgehend »unerkundeten« »dunklen« Kontinents mit der Erkundung der Dunkelheiten des eigenen Innenlebens. Später, nach einigen erfolglosen oder sogar unglücklichen Erkundungs- bzw. Behandlungsversuchen psychischer Probleme bei Frauen, die in seine Praxis kamen, dehnte Freud diesen Vergleich aus auf die Beschreibung der Psyche »der Weiblichkeit«; es resultierte die bekannte metaphorische Definition der Psyche »der Frauen« als »dunklem Kontinent«, der ihm, wie der alternde Freud eingestand, weitgehend unzugänglich geblieben war. Als er 1895 aber den sexuellen Mißbrauch junger Frauen durch Familienangehörige – Väter, Brüder, Onkel, Großväter, Hausfreunde etc. – als Grund für deren medizinisch diagnostizierte »Hysterien« erkannte, ließ er sich gern mit Stanley und Livingston vergleichen, die große Teile Afrikas sozusagen »entdunkelt« hätten; und fünf Jahre später, nach der gelungenen Entschlüsselung der Geheimnisse »des Traums« in seinem Buch Die Traumdeutung, sah er sich selbst als Conquistador im Psychischen; als ein Columbus, der der Menschheit »neue Welten« erschlossen hatte. Viele spätere Erforscher des Psychischen sind auf diesen Spuren gewandelt; es handelt sich um einen kulturhistorisch international gut bewanderten Pfad mit allen Formen der Zustimmung oder auch Ablehnung. Fetzner und Schwartz deuten so die Richtung an, in die sie ihren Essayfilm entfalten wollen: Fortgesetzte Erkundung innerer Prozesse; bzw. Bearbeitung »weißer Flecken« des eigenen psychischen »Afrika« bei der als notwendig erachteten fortzusetzenden Dekolonialisierung der eigenen Körperlichkeit. Sie nutzen dazu mit der Filmkamera selber aufgenommene Bilder diverser Afrikareisen, u.a. Kongo. Daher der Titel des Films, Innerer Kongo. Zu dem aber auch – es handelt sich um deutsche Afrikareisende – die Beschwörung der 80000 Hereros gehört, die 1904 von deutschen Kolonialtruppen ermordet wurden: weitere Startrampe des Films. Diese Gemordeten liegen vor in der Körperlichkeit heutiger deutscher Afrikareisender mit »historischem Bewusstsein«. Und wir sehen ein Bild der sog. Kongokonferenz 1883 in Berlin, wo die beteiligten europäischen Kolonialmächte das äußere Afrika unter sich aufteilten. Bei Diskussionen nach Vorführung des Films ergab sich dabei regelmäßig die Frage – so berichten Fetzner und Schwartz – ob es denn nötig wäre, tatsächlich nach Afrika zu reisen und dort zu drehen; insbesondere in den Kongo, wo doch ganz andere politisch brisante Dinge abliefen, die mit den psychischen Zuständen der Filmemacher nur höchst indirekt zu tun hätten: zweier weißer mitteleuropäischer Männer um die 50 herum, reisend in einer fünfköpfigen ähnlich gelagerten Männergruppe. Vorwurfsvoll auf den Punkt gebracht von einer Kritikerin: Warum zeigt ihr uns das? Muss uns das interessieren? Und ist das nicht vielleicht sogar Mißbrauch der gefilmten Personen in Namibia oder dem Kongo? Eingesetzt, um euren »Inneren Kongo« zu bebildern? Darf man das denn? Die Filmemacher zeigen sich verunsichert. Obwohl – sagen sie – wir doch ganz genau selber zeigen, was wir da tun. Und warum wir mit der Kamera da reisen; selber an einem Filmvorführprojekt dort arbeiten. Aber auch an Umbruchstellen in der Verortung des eigenen Körpers in der gegenwärtigen Welt uns befinden. Mir fällt nach einigem Nachdenken eine Textstelle von mir dazu ein, geschrieben 1995. Ich setze mich da mit der Fremdheitssituation auseinander, die die Flucht unserer Familie 1945 aus Ostpreußen nach Schleswig-Holstein mit sich brachte. Ich war drei Jahre und drei Monate alt und musste neu sprechen lernen – auf dem Dorf umgeben von lauter Plattdütsch redenden schleswig-holsteinischen Eingeborenen; Bauernhof mit feindlichem Oberbauern, der das Flüchtlingspack nicht mochte. Meine Sprache war vor allem auffällig durch das ostprreußisch rrrollende rrr. Der Mann im Kaufmannsladen (»Kolonialwarenladen« hieß so etwas noch gleich nach Weltkrieg II) lachte sich schief, wenn ich meinen Wunsch nach einem »Schwarrrrzbrrrrot bitte« vorbrachte. Er ließ mich das mehrmals wiederholen; ich machte das mit, weil ich das Resultat kannte: er griff am Ende in sein Bonbonglas und händigte mir ein oder zwei Stück daraus aus; das war der Mühe wert. Das Gelächter auch der anderen Leute im Laden kann ich bis heute hören (wenn ich will). Der Text, in dem ich das beschreibe, trägt den Titel Bonbonglas. Die weiteren Schwierigkeiten im »Richtig-Sprechen-Lernen« in dieser Fremde tippe ich hier nur an. Die Sache mit dem »r« war nämlich die einfachste. Schwieriger das Sprechen mit den eigenen Alten sobald ich alt genug war, etwas vom Hitlerreich und ihrem (glücklichen) Leben darin mitbekommen zu haben. Das führte, als ich etwa 14 war, schließlich zum Abbruch des Sprechens mit dem Vater, der (lebensgefährlich für uns Kinder) explodierte, sobald man anfing, ihm sein Eisenbahnerleben unter Hitler »madig« zu machen. Wir hatten zu lernen, dass wir keine Ahnung davon haben konnten, da damals nicht gelebt; Gehorsam, Pflichterfüllung, gefälligst auch von uns und besonders ihm gegenüber. Sprechen wurde zu einer Exklusivität unter Gleichaltrigen. Lebensaufgabe: Wie kann man leben in einem Land, in dem man nicht sprechen kann; leben unter Verbrechern und Irren; wie kann man »Deutscher« sein; vollkommen unmöglich. Freunde, Jazz, Kino, Rockmusic, schließlich auch Kontakt mit dem Dark Continent Freundinnen; einige Tramperreisen in benachbarte Auslande, Dänemark, Schweden, Norwegen, Frankreich. Politisch später unausweichlich: Teil der 68er-Revolte zu werden.Der für diesen Text hier entscheidende Abschnitt im Bonbonglas lautet (1995):

"Es ist gut, in keiner Sprache ursprünglich »zu Hause« zu sein. Nur so fängt man an zu hören, was gesagt wird und wie es gesagt wird und zu wem und zu wem nicht. Wer sich heimatlich fühlt, kann nur blöd werden. Man m u ß ein Stück Afrikaner geworden sein, auf dem Weg übers Ohr, über die Augen, über K e n n t n i s s e, um etwas W i r k l i c h es zu haben gegen all den Kolonialismus im eigenen Körper (nicht nur aus Gründen der »politischen Solidarität«)...ein Körperagent aus Angola, aus Namibia...ein Stück indianischer Sandinist...ein Stück Pole...ein Stück Russe...Amerikaner aus Hollywood (der ist man sowieso)...aus New York...ein Stück »Zigeuner«...ein Stück Jugoslawe, wie es ihn »gab«; mit dem Stolz des Peripheren zwischen den Blöcken...mit dem Lächeln der Ränder über den Wahn der Zentren...man muß die Morde an den Juden nicht nur »kennen« und »verurteilen«, man muß die Position »ermordeter Jude« in seinem Körper beleben, sich selbst gesehen haben an Stelle der Getöteten, ihnen ein Stück Dasein wiedergeben aus dem eigenen, damit etwas von ihnen weiterleben kann und weiterwirken auf diesem verseuchten deutschen Boden, sonst wird man nicht s p r e c h e n können, sonst wird keine Wirklichkeit entstehen können."

»Afroamerikaner« wurden die musikaffizierten Leute unserer Generation durch Dixieland, Blues, Swing, Rock 'n' Roll, Bebop, Hard Bop, Free Jazz und antikoloniale Denker wie Charlie Mingus, die Black Panther, Malcolm X, Harry Belafonte, Lena Horne, Nina Simone (und die Myriade anderer). Geht alles (zur Not) über Radio und Schallplatte (und andere Formen »inneren Afromerikas«). Lektüre »jüdischer« Literatur. Beherbung der »verbrannten Bücher« in der eigenen Psyche. Was aber schwarzes Leben in den USA oder auch jüdisches Leben in den USA ist, weiß ich erst genauer, seit wir, Monika, unsere beiden Kinder Daniel und Max und ich, dreimal ein Semester in US-Städten an amerikanischen Universitäten zugebracht haben. So wie ich auch was jüdisches Leben ist in den Gegensatzstädten Jerusalem und Tel Aviv, seit Monika und ich da waren, wenn auch nur mit Kurzbesuch. Oder was Leben von Schwarzen in Südafrika ist in den Gegensatzorten Kapstadt Zentrum oder einem umliegenden Township; Johannesburg entsprechend. Auch was weißes Leben dort ist; nämlich nur möglich als eingemauertes hinter Stacheldrahtzäunen. Kein Einlaß in ein Hotel auf Klingeldruck. Es kommt jemand und begutachtet, wer das da ist vor der Tür, bevor diese sich öffnet. Wer solche Dinge nicht als (bleibende) Veränderung der eigenen Körperlichkeit erfährt, Veränderungen des »inneren Kongo« wie Veränderung der Außenwahrnehmung über Haut und Muskulatur, muss in einem sehr unterentwickelten Körper leben. Es ist nicht nur möglich und angebracht, in solche auch äußerlich, als Staaten existierende »Kongos« zu reisen, es ist sogar, in einem unbestimmten Maß, notwendig. Und davon Kunde zu geben, ob mit Kamera oder ohne. Daniel Fetzner betont in dem Zusammenhang die bleibende Veränderung seiner körperlichen Psychphysik durch seinen zweijährigen Aufenthalts in Kairo, auch Indienreisen. So wie in den letzten Einstellungen des Films von Fetzner und Schwartz zu sehen ist, wie die kongolesischen Kinder, mit dem aufnehmenden Auge der Kamera konfrontiert, dabei sind, die Existenz dieses Wunder-Geräts mit ihren schüchternen Augen ihrem »inneren Kongo« einzuverleiben. Die Filmemacher haben die Kamera nicht »bedient« in diesem Moment, sie haben sie stehen und laufen lassen und berichten gerade dadurch von der Fremdheit und der Nähe zwischen den »Kulturen«; schade nur, daß sie die Kamera dieses nicht etwas ausgiebiger einfangen ließen. Ich fand mich bestätigt in diesem Filmmoment von meiner – anderswo aufgestellten – Behauptung: die Kamera denkt. Und hilft unserem »inneren Kongo« auf die Sprünge. Wer behauptet, um so etwas wahrzunehmen, braucht man nicht dorthin zu reisen, dem fehlt: Entwicklungshilfe. Fast alle sog. »Wahrheiten« sind umzukehren durch Veränderungen in den Reiserichtungen. Umzukehren wie die Wahrheit, die einer der schwarzen Protagonisten des Films ausspricht. »Menschenfresser? Das sind die Europäer.« Wenn der Film weiter davon spricht, seine Macher möchten »Träume tauschen« (statt Rohstoffe zu rauben), macht er nochmal klar, es geht ihm vor allem um den »inneren Kongo«, der aber nicht »Kongo« heißen muss. So steht im Zentrum des Films ein nacherzählter Traum, der nicht vom »Kongo« handelt. Welchen Sinn es macht, dass der Kommentar vermerkt, der Traum habe »meinem jüdischen Analytiker« gefallen, ist dem Zuschauer/Zuhörer anheimgestellt. Tatsächliche kolonialistische Landnahme geschah allerdings oft im Gefolge derer, die (angeblich) kamen, um indigene Völker »zu studieren«; ihnen Hilfe zu leisten bei der Bewältigung ihrer örtlichen Problematiken: geographischen, ökologischen oder spirituellen. In der Tat waren es oft Versprechungen religiöser Art, Erlösungsversprechen, die sich in der Regel als Zwangsjacken erwiesen; als Gitterstäbe an den Pforten der verheißenen Paradiese oder sich entpuppten als schiere Mordlust. Daß koloniale Landnahmen oft über die Einspannung indigener Bevölkerung in die Eroberungspläne von Kolonisten geschahen, etwa über Bestechungen und oft über die gewaltsame Verführung von Königstöchtern – »Landnahme über den Körper der Königstochter« – habe ich beschrieben in Pocahontas Bd. 2. Buch der Königstöchter. Dieser Vorgang ist – in leicht abgewandelter Form – ein Standard im Repertoire »westlicher« Jungmänner geblieben: Tausende Songs zeugen davon. Das lässt sich (u.a.) sehr schön zeigen an Songs von drei Großgöttern unserer Popwelten, Bob Dylan, Jimi Hendrix, Neil Young. Auf Bob Dylans 4.Album, Another Side of Bob Dylan, 1964, gibt es einen Song mit dem Titel Spanish Harlem Incident. Bob Dylan war, wie der Albumtitel sagt, in einer Umbruchsphase; weg vom Botschaften verbreitenden politischen Folksong hin zu einer breiteren Basis von Texten aus allerlei Facetten des alltäglichen Lebens; oft: Liebeslebens. I'm a poet, I know it, heißt es in einem der Songs. Spanish Harlem Incident handelt von Dylans aufglühender Verliebtheit in eine junge Straßentänzerin, die er in seinem Song mit Gypsy gal anspricht, »Zigeunermädchen«. Es ist nicht einfach Harlem, it's Spanish Harlem.

SPANISH HARLEM INCIDENT

Gypsy gal, the hands of Harlem

Cannot hold you to its heat

Your temperature's too hot for tamin'

Your flaming feet are burnin' up the street

I am homeless, come and take me

Into the reach of your rattlin' drums

I gotta know, babe, all about my fortune

Down along my restless palms

Gypsy gal, you got me swallowed

I have fallen far beneath

Your pearly eyes so fast and slashing

And your flashin' diamond teeth

The night is pitch black, come and make my

Pale face fit into place, ah, please

I gotta know, babe, I'm nearly drownin'

If it's you my lifelines trace

I've been wonderin' all about me

Ever since I seen you there

On the cliffs of your wildcat charms I'm riding

I know I'm 'round you, but I don't know where

You have slayed me, you have made me

I got to laugh halfways off my heels

I gotta know, babe, will you surround me?

So I can know if I'm really real

Es lohnt sich, das genau zu lesen. Zuerst möchte er aufgenommen werden in die Bereiche der Welt ihrer Trommeln und ihres Tanzes. Unzähmbare Hitze, flammende Füße. Sie hat ihn verschlungen. Und er hat eine Bitte: sie möchte doch, bitte, so gut sein, sein Bleichgesicht der pechschwarzen Nacht ihrer Harlemumgebung kompatibel zu machen. Baby, ich bin am Ertrinken – I am homeless sagte schon die erste Strophe – und ich muß wissen, ob es du bist, die meine Lebenslinie in die Spur bringen wird. Sein Schicksal ließ er sich von ihr schon am Ende von Strophe 1 aus der Hand lesen. Und nun der Schritt in die Neubelebung, die er von ihr erhofft. Er muss zwar einerseits sich fast die Hacken ablachen, aber andererseits: Ich muss wissen, wirst du um mich sein; so daß ich weiß, ich bin »really real«. Als Realitätsbeweis für die körperliche Umwandlung, in der er sich fühlt, muss dieses Gypsy Gal eingespannt werden, dunkelhäutig. Sie hat ihn verschlungen und soll ihn wieder ausspucken als new born guy. Ob er je in Spanish Harlem war? Möglich; aber nicht entscheidend. Dies ist ein »Inner Harlem«, wie es deutlicher nicht sein könnte. »Indian Gal« kommt nicht in Frage (zu oft mussten die Töchter der indigenen Bevölkerung sich als Prostituierte durchs Leben schlagen). Und »Black Gal“ of Black Harlem wäre 1964 für einen jungen weißen Folksänger wohl auch noch nicht recht gegangen. Später, viel später, als Dylan sich in einer erneuten Umbruchsphase befand – er mutierte in seiner »christlichen Phase« nach 1980 zu einer Art predigendem Gospelsänger – heiratete er (heimlich, unter falschem Namen) eine der schwarzen Background- Sängerinnen seiner Bühnenauftritte. Sie trennte sich nach einigen Jahren von ihm, »da er nie zu Hause« war. Die Never ending tour hatte begonnen. Die Tochter der beiden, Céline, wuchs zunächst mit dem Nachnamen der Mutter auf. Heute, wo die Sache nicht mehr geheim ist, geht sie als Céline Dylan durch die Welt. Hoffentlich ihre Welt. Den Schritt zum Indian Gal vollzog wenig später Neil Young. Sein Song Pocahontas (=eine der oben erwähnten Königstöchter) erzählt davon.

POCAHONTAS

Aurora Borealis

The icy sky at night

Paddles cut the water

In a long and hurried flight

From the white man to the fields of green

And the homeland we've never seen

They killed us in our teepees

And cut our women down

They might have left some babies

Cryin' on the ground

But the fire sticks and the wagons come

And the night falls on the setting sun

They massacred the buffalo

Kitty corner from the bank

Taxis run across my feet

And my eyes have turned to blanks

In my little box at the top of the stairs

With my Indian rug and a pipe to share

I wish a was a trapper

I would give a thousand pelts

To sleep with Pocahontas

And find out how she felt

In the mornin' on the fields of green

In the homeland we've never seen

Pocahontas

Strophe 1 erzählt von einer Flucht in Booten vor dem weißen Mann hin zu einem homeland we've never seen. Neil Young, neben Marlon Brando (und später Kevin Kostner) einer der bekanntesten Verfechter der Rechte von Indigenen, schildert zunächst die Greueltaten der Weißen; die Ermordung unzähliger Roter, unzähliger Büffel; Taxis fahren heute wo einst grünes Land war...ein paar Babies ließen sie vielleicht übrig...und ein paar Erwachsene ließen sie weiter ihre Tabakpfeifen teilen. Nun der »kühne Schritt« hin zur roten Frau: Wäre ich ein Trapper, ich gäbe 1000 Pelze, um mit Pocahontas zu schlafen. Nicht einfach zur eigenen Lust, sondern um herauszufinden, wie sie fühlte. Tollkühnes männliches Unterfangen: beim Beischlaf herauszubekommen, wie die Frau sich fühlt. Vor allem aber erscheint dies als Eingangspforte in die Heimat, die noch nie eine(r) sah. Homeland we've never seen. »Innerer Kongo?«. Wird man wohl sagen können. Mitten im realen Amerika. Wo ein guter Freund seine Rede zum gewonnenen Oscar den vernichteten American Indians widmet. Neil Youngs Dankzeile: Marlon Brando, Pocahontas and me.

Den Song Cortez the Killer hat Neil Young da schon im Gepäck. Singend in einem Inner America, das ganz sein eigenes ist; das er elektrisch durchquert mit seiner Band, die Crazy Horse heißt; Name eines berühmten Chiefs der indigenen Roten. (v. Trotha the Killer im Inneren Kongo von Fetzner/Schwartz). Als Bühneninkarnation ermordeter nordamerikanischer Indigenen trat übrigens auch Jim Morrison auf, Inner-American Chief der Rockband The Doors. Die Türen zwischen inneren und äußeren Kontinenten stehen offen. Man kann sie durchschreiten oder durchfahren oder überfliegen mit Reisen, mit Konzerten, mit Kameras, mit Freud im Koffer oder mit Joseph Conrad oder Achill Mbembe, der – bekanntlich – für die Abschaffung aller Grenzen plädiert. Um anzukommen In a homeland we've never seen.

Jimi Hendrix, Kind eines schwarzen Vaters und einer Mutter, deren Mutter aus der (fast) vergangenen Cherokee-Welt kommt, löst sich, nach diversen Irrungen, u.a. Militär, aus der Verbindung seiner schwarzen Community in Seattle durch die Entfernung seines Körpers nach New York, segelnd auf einer E-Gitarre; dann weiter nach London, wo er mit zwei weißen englischen Jungs seine Hendrix Experience formt. Der Erfolg 1966ff ist was man überwältigend nennt. 1968, auf dem Höhepunkt seiner musikalischen Karriere, entfaltet er sich auf dem Doppelalbum Electric Ladyland zu überraschend neuer Größe. Seine Liebesaffäre mit seiner Electric Lady Stratocaster ist da aller Welt, die es wissen will, längst bekannt. Hier taucht nun auch bei ihm das Gypsy Gal auf; nicht mit brennenden Tanzschritten sondern hypnotischen Wimpernschlägen.

GYPSY EYES

Well I realize that I've been hypnotized,

I love your gypsy eyes

I love your gypsy eyes

Alright!

Hey!

Gypsy.

Way up in my tree I'm sitting by my fire

Wond'rin' where in this world might you be

And knowin' all the time you're still roamin' in the country side

Do you still think about me?

Oh my gypsy.

Well I walked right on to your rebel roadside

The one that rambles on for a million miles

Yes I walk down this road searchin' for your love and ah my soul too

But when I find ya I ain't gonna let go.

I remember the first time I saw you

The tears in your eyes look like they're tryin' to say

Oh little boy you know I could love you

But first I must make my get away

Two strange men fightin' to the death over me today

I'll try to meet cha by the old highway.

Hey!

Well I realize that I've been hypnotized, I love your gypsy eyes

I love your gypsy eyes

I love your gypsy eyes

I love your gypsy eyes

Alright!

I've been searchin' so long my feet have made me lose the battle

Down against the road my weary knees they got me

Off to the side I fall but I hear a sweet call

My gypsy eyes is comin' and I've been saved.

Oh I've been saved

That's why I love you uh

Said I love you

Hey!

Love you uh

Lord I love you

Hey!

Ja, ich schlug mich auf die Straßenseite deiner Rebellion

Die den Aufstand lebt, Millionen Meilen lang

Ja, ich gehe diese Straße lang, Such nach deiner Liebe und nach meiner Seele auch.

Es ging darum, My soul zu finden. Auf der Straße ins Land der Rebellion, die nur mit Gypsy Eyes zu sehen ist, die ihn hypnotisiert haben. Hypnotisiert hinein in eine Welt, in der es eine Rettung gibt. Welt, die den Namen Love trägt. Rettung durch Love...Love...Love... Lord...! Ich hab lange gesucht, aber zu Fuß hab ich's nicht geschafft. Der Flug, mit dem er seiner bisherigen Welt entkommt, erscheint dann im letzten Song der Platte; das Land, nach dem seine Soul sucht, bekommt einen Namen...mehrere Namen...und er selber auch einen neuen:

VOODOO CHILD (SLIGHT RETURN)

Well, I'm a voodoo child

Lord I'm a voodoo child

Well, the night I was born

Lord I swear the moon turned a fire red

The night I was born

I swear the moon turned a fire red

Well my poor mother cried out "lord, the gypsy was right!"

And I seen her fell down right dead

(Have mercy)

Well, mountain lions found me there waitin'

And set me on a eagles back

Well, mountain lions found me there,

And set me on a eagles wing

(It's the eagles wing, baby, what did I say)

He took me past to the outskirts of infinity,

And when he brought me back,

He gave me a venus witch's ring

Hey!

And he said "fly on, fly on"

Because I'm a voodoo chile, baby, voodoo chile

Hey!

Well, I make love to you,

And lord knows you'll feel no pain

Say, ilI make love to you in your sleep,

And lord knows you felt no pain

(Have mercy)

'Cause I'm a million miles away

And at the same time I'm right here in your picture frame

(Yeah! what did I say now)

'Cause I'm a voodoo child

Lord knows I'm a voodoo child

Well my arrows are made of desire

From far away as jupiters sulphur mines

Say my arrows are made of desire, desire

From far away as jupiters sulphur mines

(Way down by the methabe sea, yeah)

I have a humming bird and it hums so loud,

You think you were losing your mind, hmmm...

Well I float in liquid gardens

And Arizona new red sand

(Yeah)

I float in liquid gardens

Way down in arizona red sand

Well, I taste the honey from a flower named blue,

Way down in California

And the New York drowns as we hold hands

'Cause I'm a voodoo child

Lord knows I'm a voodoo child

Yeah!

The Gypsy taucht erneut auf; nicht Gypsy Gal und Gypsy Eyes; sondern die Wahrsagerin, die den Tod seiner Mutter bei seiner Geburt vorausgesagt hat. The Gypsy was right – und die Mutter stirbt. Der Mond wurde rot... Und die neue Welt setzt ein, sofort. Voodoo Child beschreitet geographisch den Weg in die Karibik; Hendrix Innere Karibik. Auf Berglöwenflügeln, Adlerrücken...zu den Grenzen der Unendlichkeit...bei der Rückkehr ausgestattet mit dem Hexenring der Venus...fly on, fly on...I'm a voodoo chile, baby... Und er spaltet sich auf im Voodoo-Zauber: Ich liebe dich hier...und bin eine Million Meilen weg zugleich... Desire Desire! Jupiters Schwefelminen sind involviert. Einmal durch unsere Galaxie, auf 'nem humming bird, Kolibri...Vogel der Americas...Er summt so laut, ich verlier den Verstand... Out of mind muss man sein...bevor das passiert, worauf man soo wartet...nenn' es Metamorphose (wie in Fetzner/Schwartz' Innerem Congo)...nenn es Verstand verlieren … Flug zum Jupiter (and beyond)...Well I float in liquid gardens... Durch die flutenden Gärten muss er durch, dieser hier, Jimi Doppelhelix, Triple- Hendrix, um endlich die Erde unter die Füße zu bekommen, auf die er es abgesehen hat...Roter Arizona Sand...California...ertrinkendes New York...dazwischen geflochten a flower named blue... Es ist das ganze America, das er unter seine Flügel bringen will...unter seine Schwingen...nicht nur the »Inner Caribean«...aber dies muss mit ein gespannt werden ...ohne Voodoo Chile zu werden, wird all dies nicht real...Und was ist dies? Dies ist nicht weniger als Hendrix' Programm zur Zivilisierung des äußeren America...von Kalifornien bis New York, dem ertrinkenden. Zivilisierung durch die Fender Stratocaster und Marshall Amplifyer. »I am an electric church«. Spielend in einer Band of Gypsies, wie er die Nachfolgeband der Experience nennen wird. Bestehend aus drei black musicians. Hendrix' Mutter starb zwar nicht bei seiner Geburt, aber nach der Geburt weiterer Kinder doch sehr jung. Und brachte ihn zum Ausfliegen. Als Angel erscheint sie wieder in einem späteren Song. Mit ihrer und der Hilfe von Gypsy Eyes durchquert er die Galaxien hin zu einem Inner America, zu dem sowohl Jupiters Schwefelminen gehören wie auch der ganze Meeresgrund: A merman I should turn to be wünscht ein weiterer Song auf Electric Ladyland; er drückt die Notwendigkeit aus, greulichen Beklopptheiten wie dem Vietnam Krieg zu entkommen durch Auswanderung auf den Meeresgrund...zusammen mit der Geliebten...in einem U-Boot tief unten...mit jener Geliebten, die in Hendrix Poesie immer wieder als Universal Gypsy figuriert. Wie bescheuert die Leute sind, die behaupten, so etwas ginge nicht, heißt es im mermaid-Song ...will you surround me? So I can know if I'm really real. Wer nun fragt, »müsst ihr dafür in den Kongo fahren«, den/die darf man fragen, wo bist du bisher denn gewesen. Warst du überhaupt irgendwo. Schwierig dann, das »Innere irgendwo« irgendwo zu finden.

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